EMILE PARISIEN QUARTET Spezial Snack ********
01. Potofen (Parisien), 02. Haricot Guide (Darrifourcq), 03. Mazout Damnation (Touery), 04. Les Flics de la Police (Darrifourcq), 05. Francois (Gelugne)
Emile Parisien - ss, ts, Julien Touéry - p, prep p, Ivan Gélugne - b, Sylvan Darrifourcq - dr, perc, zither
rec 04/2014
ACT 9575-2; LC 07644
Das ist mal ein Sopransaxophonist!
Neulich war er in Köln, zu einem mehr oder weniger spontanen Konzert mit Petter Eldh, b, und Jonas Burgwinkel, dr.
Auf seinem Instrumentenständer nichts als ein Sopransaxophon - würde man das aushalten? (Der bringt bestimmt das Tenor später noch mit...)
Nichts dergleichen!
Emile Parisien bliebt beim Sopran. Und wie! Mag sein, dass unser Freund vom Jazzinstitut Darmstadt (Wolfram Knauer) da noch Sidney Bechet heraushört. Unsereins fragte sich (und später den Künstler), ob er seine Phrasen nicht auch an der Artikulation anderer Instrumente orientiert, beispielsweise an der von Streichern (ja, antwortet er, am Cello).
Und jetzt erscheint der 32jährige, der natürlich nicht aus dem Ort stammt, der in seinem Namen anklingt, nachdem er schon den Jahrgang 2013 gerockt hat, zum 10jährigen Jubliläum seines Quartettsauf dem deutschen ACT-Label.
Und vielleicht aus Furcht vor dem eigenen Mut, ein solches Album zu veröffentlichten, hat man die Journalisteninformation dazu mit einigen Warnlampen versehen:
„Free Jazz ist es dennoch nicht, was man hört.“ ist die hilfloseste darunter.
Selbstverständlich hört man hier nicht das, was man sich unter diesem Schreckensbegriff vorzustellen hat - obwohl die vier es leicht mit allen Brötzmännern dieser Erde aufnehmen könnten.
In „Haricot Guide“ tun sie es auch, es gibt eine „freie Passage“, die sich nur so gewaschen hat. Aber, in welchem Kontext steht sie?
Wer die ganze Spitzfindigkeit dieser vier jungen französischen Musiker möglichst rasch kennenlernen will, der starte mit diesem track, von dem hervorragenden Schlagzeuger Sylvan Darrifourcq.
Er basiert formal auf den cut & paste Techniken eines John Zorn, wie er sie Ende der 80er, Anfang der 90er mit Naked City angewandte hat. Abrupte Stilwechsel, bei Zorn sogar halbtaktig, hier ein wenig länger, accelerando, ritardando, half time, uptempo swing, also groove switching ohne Ende - bloß dass Parisien & Co. das, was sie antippen, auch richtig gut ausführen können.
In „Mazout Damnation“ kommt dann, nach langen rubato-Passagen und einem wunderschönen Bass-Drone, das hervor, was die Band auch schon auf dem Vorgängeralbum herausgeschleudert hat: ein hypnotischer vamp.
Noch so einen finden wir in track 4, und erst im Schlußstück greift Parisien zum Tenor, aber nur für das bluesige opening, dann schliddert er auf dem Sopran in eine Passage, die mag auch als eine Art Parallelerzählung zu Ravels Bolero hören kann.
„Man kann sich aber auch schlicht mitreißen und immer wieder überraschen lassen“, wäre die treffende Warnlampe aus dem Promotext zu dieser Passage. Und eigentlich könnte sie fast überall leuchten, denn dieses Quartett überfährt den Hörer durchgängig.
Der Level der Intensität ist hoch, man springt mit den Formen um nach Belieben, bei soviel Intensität fragt kein Mensch nach „formaler Geschlossenheit“. Und nicht zuletzt kann, wer unbedingt ein Etikett braucht, das alte vom Jazzrock hier aufpappen - der freilich in neuer, ungewohnter Form hier in Erscheinung tritt.
erstellt: 10.12.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten