DEPART Refire *****
01. Talking 58 (Känzig), 02. Chamber´s Room, 03. Choral (T. Lang), 04. Barrock (Känzig), 05. Funky Straight, 06. Bass Folk Song, 07. Erzherzog-Johann-Jodler (Schosset, Sokal), 08. Happy, Happy (Känzig), 09. Peace on my Mind, 10. Juggle in (Sokal), 11. Guggisberglied (trad), 12. Seven in Heaven (Känzig), 13. Alpine Mood (Känzig, Sokal)

Harry Sokal - ss, ts, electr, Heiri Känzig - b, Martin Valihora - dr


rec. 01.-03.06.2013
intakt CD 241, LC 11265

JOSHUA REDMAN Trios Live ********
01. Moritat Mack the Knife (Brecht, Eisler), 02. Never let me go (Evans, Livingston), 03. Soul Dance (Joshua Redman), 04. Act Natural, 05. Mantra #5, 06. Tinkle, Tinkle (Monk), 07. The Ocean (Page, Jones, Bonham, Plant)

Joshua Redman - ss (3,5), ts (1,2,4,6-7), Matt Penman - b (1,5-7), Reuben Rogers - b (2-4), Gregory Hutchinson - dr

rec. 10/2009 (1,5-7), 02/2013 (2-4)

Nonesuch 0075597956177, LC 11265


Es ist das Comeback vom Comeback: Depart, gegründet 1985 (mit dem Schlagzeuger Fredy Studer), an die europäische Jazz-Öffentlichkeit getreten mit dem drum-Überflieger Jojo Mayer und zwei Alben („Live in Moers“, 1987 sowie „Letters from Nowhere“, 1992) sowie einem ersten Comeback („Reloaded“, 2006 und „Mountain Messenger“, 2008),
cover-departDepart ist wieder da, nun mit Martin Valihora aus Bratislava und den beiden Vienna Art Orchestra-Veteranen Harry Sokal und Heiri Känzig.
Die.können.spielen.
Darin stimme ich mit meinem Freund Christian Rentsch, der die liner notes geschrieben hat, überein.
Auch dass es nicht einen Star-Drummer braucht, um dieses nach wie vor Jazzrock-nahe Programm mit swing hier, funky-patterns dort, ein wenig New Orleans backbeat, einem Blues und Balladen rhythmisch auszumalen.
Richtig gefetzt hätte ich mich mit ihm, wenn dieser Satz von ihm stammte: „Depart ist ein fester Bestandteil der europäischen Jazz-Innovation“, wie er auf der Webseite eines großen Tonträger-Vertriebes zu finden ist. Nein, Rentsch hängt die Latte viel niedriger, die drei machten Musik „nicht, um die Musikgeschichte weiter voranzutreiben, sondern um ihr Publikum zu unterhalten, glücklich zu machen.“
Dass dazu „musikalische Raffinesse, Intelligenz und Handwerk ebenso (gehören) wie ein sicherer Geschmack, Spielwitz und Verspieltheit“ - da core, Christian (wenn wir bitte den „sicheren Geschmack“ mal ausklammern, ich kann mir seinen „unsicheren“ Bruder gar nicht vorstellen).
Was in dieser Aufzählung schöner Eigenschaften aber fehlt, sind „Fabulierkunst“ und vor allem „Dringlichkeit“ des musikalischen Ausdrucks. Es ist Depart´s Pech, dass just zum gleichen Zeitpunkt ein gleich-besetztes amerikanisches Trio mit einem Album auf den Markt kommt, das Trio von Joshua Redman mit wechselnden Bassisten.
Ein Vergleich liegt nahe. Ob Redman wirklich technisch so viel besser ist als Harry Sokal, mag man bezweifeln. Aber die Architekturen sind völlig andere. Wo Sokal kurz-taktige Motive spielt, spinnt Redman große, lange Bögen; und wenn´s ihm zu bunt wird, überbläst er, schreit auf seinem Instrument, variiert Dynamik und Tempo - und die Rhythmusgruppe folgt ihm.
cover-redman-trio-liveDas ist nicht einstudierte Interaktion für die kurze Distanz, das ist Interaktion, die auf der langen Strecke, aus dem Prozeß selbst entsteht, spontan. Ein Musterbeispiel der damit möglichen große Narration ist der gut 12-minütige medium swing „Act Natural“.
Die Aufnahme ist ton-technisch nicht halb so transparent wie Depart, aber was ist da los!
Davon zeugen auch die Lustschreie hinter Redman´s Sopran in dem super-clever umspielten 6/8-Takt von „Soul Dance“. Überhaupt Redman´s Sopran, was für eine Kraft steckt in dem anderthalb Minuten-Intro zu „Mantra #5“. Das Thema ist folkloristisch, aber nicht pflichtig-ironisch wie der „Erzherzog-Johann-Jodler“ und das „Guggisberglied“ bei Depart.
Das Thema von „Mackie Messer“ lässt Joshua Redman erst nach fast der Hälfte der Spieldauer, nach 4:50, anklingen. Und nur in der Schlussgeraden rückt er der Kurzphrasigkeit seines österreichischen Kollegen doch recht nahe - das bleibt kaum aus bei der Übersetzung des riffs aus „The Ocean“ von Led Zeppelin. Brandford Marsalis´ altes Verdikt, die Musik von Prince sei nicht auf das Saxophon übertragbar, findet hier eine Parallele.
Was Redman zudem klanglich bietet, ist allein seines Mundes und seiner Hände Arbeit, resultierend in einem kräftigen, wandlungsfähigen Ton. Sokal hingegen koppelt seine Saxophone des öfteren mit wha-wha-Filter, vor allem Harmonizer, der die monophonen Linien ins Akkordische aufbrezelt.
Der Elchtest, ob der klangliche Mehrwert mit einer Einschränkung der Fabulierkunst erkauft wird (weil ja immer auch ein technischer Parameter mitgedacht werden muss), scheint noch nicht bestanden.

erstellt: 01.07.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten