ORCHESTRE NATIONAL DE JAZZ/DANIEL YVINEC Around Robert Wyatt ********

CD 1
01. The Song (Blegvad, Greaves), 02. Alifib (Wyatt), 03. Just as you are (Benge, Wyatt), 04. O Caroline (Sinclair, Wyatt), 05. Kew Rhone (Blegvad, Greaves), 06. Shipbuilding (Manus, Langer), 07. Line (Risser), 08. Alliance (Wyatt), 09. Vandalusia, 10.Del Mondo (Zamboni, Maroccolo, Magnelli), 11. Te Recuerdo Amanda (Jara)
CD 2
01. P L A (Wyatt), 02. Gegenstand (Blegvad, Greaves), 03. Rangers in the Night (Wyatt), 04.Just as you are (Benge, Wyatt)

Eve Risser - p, fl; Vincent Lafont - keyb, electr; Antonin-Tri Hoang - as, cl, p; Matthieu Metzger - saxes, electr; Joce Mienniel - fl, electr; Remi Dumoulin - saxes, cl; Guillaume Poncelet - tp, p, synth, electr; Pierre Perchaud - g, banjo; Sylvain Daniel - bg, frh, electr; Yoann Serra - dr, Vincent Artaud - arr, Daniel Yvinec - cond, Robert Wyatt - voc (01, 05, 09, 11 CD 2 02, 03), Rokia Traoré, Daniel Larc, Yael Naim, Camille, Irene Jacob, Arno - voc

rec. 01.2009
NRW Vertrieb/Bee Jazz BEE 030; LC-Nr 11363

Nichts gegen das Bundesjazzorchester (Bujazzo), aber gegen sein französisches Pendant mutet es an wie ein Ausbildungsamt. Wer wäre z.B. in der Lage, auch nur ein Projekt dieses Ensembles zu memorieren? Nun gut, wer den Föderalismus kennt, weiß die schiere Existenz eines bundesweiten Ensembles schon als Leistung zu würdigen, dem Vernehmen nach ist das ONJ materiell viel besser ausgestattet. Vielleicht deshalb versammeln sich dort nicht nur - wie in Deutschland - die besten jungen Jazzköpfe des Landes, vielleicht deshalb können die wechselnden Bandleader konzeptionell so brillieren.
Robert Wyatt im kleinen Orchester-Format? Eine tolle Idee! Daniel Yvinec ist zwar nicht der erste, Max Nagl hat sich 2006 an einem sehr vergleichbaren Projekt versucht (auf Handsemmel Records, nomen est omen!). Aber der ungeheuer zerbrechliche Charme, die fragile Melancholie eines Robert Wyatt, sie sind - Entschuldigung für das Klischee - sie sind denn doch sehr viel besser aufgehoben bei den Angehörigen einer Nation, die einen Debussy und einen Ravel hervorgebracht hat, ganz zu schweigen von der neuerlich aufblühenden Jazzszene.
Dass beinahe ein jedes der ONJ-Mitglieder auch mit "electronics" aufgeführt wird, sollte nicht zu falschen Schlüssen verleiten: die entsprechenden Klangfarben erscheinen hier fein verwebt, klangflächig und nicht als Attacke. Elektronische Klangfarben fungieren als Verlängerung und Verräumlichung instrumentalen Handwerks, absolut glänzend entworfen von
Vincent Artaud, dessen Name auf dem Cover zurecht nur wenig kleiner als der des "artistic director" Yvinec gedruckt erscheint. Artaud kennt seinen Philip Glass, aber auch seinen Gil Evans; es ist ein Rätsel, wie er aus zehn Stimmen einen luftigen Apparat schafft, der nach doppelter Stärke klingt.
Selten hat man einen Jazz-Arrangeur erlebt, dessen Kunst fast ausschließlich im mittleren Dynamik-Bereich blüht, die auf das forte vollständig verzichten kann. Möglicherweise ein später Nachhall der Chanson-Tradion (?).
"Around Robert Wyatt"; es sind also nicht nur
cover versions zu erwarten, sondern ein Ausleuchten der sehr viel größeren Wyatt-Welt - leider, muß man sagen (und das ist die einzige Kritik) unter Auslassung der ganz frühen Jahre, des Soft Machineisten Robert Wyatt. Nicht auszudenken, wie "Box 25/4", das immerhin auch Nagl interessiert hat, hier geklungen hätte.
Aber, vielleicht sind Wyatt´s Soft Machine-Stücke dem vielfarbigen
Melancholismus abträglich, wie ihn Daniel Yvinec offenkundig bevorzugt.
Über die Ausführung unkt
John Greaves, ein alter Wyatt-Kumpel, endlich habe sein Freund mal eine "ordentliche Begleitkapelle" gefunden. Greaves mag dabei an die Ausführung seiner Stücke bei dieser Produktion gedacht haben: sein "Kew Rhone" von 1976, schon damals eine der Hymnen des britischen Art Rock, erscheint hier kongenial minimal-verwandelt. Dass Wyatt hier singt ist ebenso bestens "around Robert Wyatt" - am Original war er nämlich nicht beteiligt.
Gesangstechnisch hat sich Robert Wyatt offenkundig mächtig ins Zeug gelegt, seine üblichen Intonationsschwächen fallen wenig ins Gewicht, vor allem dank der ultra-präzisen Begleitung, die darauf verzichtet, die mitunter gegebene Weinerlichkeit der Originale auch noch instrumental zu verstärken.
"Kew Rhone“, mit seinen Minimal-Bläsern, ist ein Höhepunkt der Platte, "Caroline" (aus der Matching Mole-Zeit), ein elektronisch verwaschener Gil Evans, gleichfalls, dann das verloopte "Rangers in the Night".
Großartig die Solisten, immer wieder
Vincent Lafont an einem sehr "britischen" E-Piano, aber auch die Sängerinnen. Der einzige Ausfall: ein Kerl namens Arno, der im ersten Durchlauf von "Just as you are" wie Tom Waits herumprollt - als hätten Yvinec & Artaud selbst auch ihrem Einfall mißtraut, schließen sie das Programm auf CD 2 dankenswerterweise mit einer Alternativ-Version desselben Songs im 6/4-Takt, mit der Sängerin Yael Naim.

erstellt: 29.05.09
©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten