CHRISTOPHER DELL The World we knew *******


01. Don´t talk to me (Kaempfert, arr: Dell), 02. Danke Schoen, 03. A swingin´ Safari, 04. Strangers in the Night, 05. Afrikaan Beat II, 06. Wiedersehn, 07. It makes no Difference, 08. Spanish Eyes, 09. Afrikaan Beat I, 10. Geh nicht vorbei, 11. The world we knew, 12. Lover after Midnight


Christopher Dell
- vib, Ladi Geisler - g, Christof Lauer - ss, ts; Carsten Daerr - p, Oliver Potratz - b, Eric Schäfer - dr

rec 22.+23.05.2006
ACT 9449-2; LC-Nr 07644

Machen wir uns nichts vor: die schlimmsten Seiten, die beim Erstellen eines "deutschen Realbook", des Great German Song Book, beschrieben werden müssen - sind schon durch. Und sie lesen sich/klingen sogar ganz gut, nachdem ein Trio um den Pianisten, der auch hier mitwirkt, Carsten Daerr, der Musik von Ralph Siegel sich erbarmt hat.
Bert Kaempfert (1923-1980) ist dagegen ein ganz anderes Kaliber. Christopher Dell hievt ihn, den "Vater des easy listening", wie er auf seiner Webseite firmiert, in eine Liga mit Kurt Weill und Hanns Eisler, "den bedeutendsten deutschen Songschreibern des 20. Jahrhunderts". Mhm.
Jedenfalls hat Kaempfert, wie die beiden Brecht-Komponisten, den größten Elchtest bestanden, nämlich in Amerika zu reüssieren, zuvorderst mit "Strangers in the Night" (1996) oder "Spanish Eyes" und seinen 500 Coverversionen.
An Kaempfert interessiert Dell dessen "revolutionäres Konzept von Klang und Raum" und dass er seine Musik als "Design Objekt" interpretiert habe. Ja, mitunter muß man den
Künstler Dell vor seinen Ausflügen in die Sprache in Schutz nehmen, so z.B. wenn er betont, nicht der Kaempfert´sche Aspekt des Raumes oder der Jazz-Aspekt der "Struktur" habe bei diesen Bearbeitungen Priorität erhalten, sondern "wir haben uns vollständig auf Klangfarbe verlegt. Dieser impressionistische Ansatz erlaubt unserer Musik eine Aussage unabhängig von den Originalen."
Eines vorweg, wenn Dell Kaempfert
spielt, klingt er gescheiter als wenn er über ihn redet. Der obige, vollständige Satz ist logisch eine Unmöglichkeit.
(Dies beruht, wie inzwischen vom Künstler zu erfahren, auf einem Übersetzungsfehler; der Satz in seinem Original lautet: "Durch diesen eher impressionistischen Ansatz tritt die Musik nicht in Konkurrenz zum Original, sondern entwickelt ihre eigene spezifische Aussage.")
Vermutlich will Dell damit aber auf die große Entfernung zwischen seinen Bearbeitungen und den Originalen hinweisen. Das geht in Ordnung, beschreibt aber zunächst nicht mehr als das, was für viele Cover-Künstler gilt.
Der Reiz ihres Tuns liegt ja gernau darin, daß die Zuhörer (mehr oder weniger) in jedem Moment das Original mit seiner Interpretation abgleichen. Daraus entstehen Spannung, Witz und neue Einsichten.
Und davon gibt´s hier einiges: z.B. wenn das Thema von "Danke Schoen" (das für immer durch den Schmalz von
Gerhard Wendland geprägt schien) mit einem drum´n´ bass-pattern unterlegt wird und mit leichtem accelerando schließt. Oder - raffinierter - "A swingin´ Safari" im Improvisationsteil durch Modulationen durchs Gelände schwebt. "Strangers in the Night", das eher zurückhaltend blass daherkommt, verweigert uns der Abschlußton des Themas.
Höhepunkte sind die beiden "Afrikaan Beats", die das Thema jeweils ganz an den Schluß setzen. Dieses Thema hat was von
Shorter´scher Prägnanz; in der Version mit der Nr II werden die Thementeile über leichtem Reggae-Feeling ausgebreitet, in der noch viel spannenderen Fassung I werden sie jazzmäßig fragmentiert, mit einem großartig aufgelegten Christof Lauer, und dann erst wieder zum Schluß eingesammelt.
Besagter Tenorsaxphonist zeigt in "It makes no Difference" weitaus bewegendere
shouter Qualitäten als auf seinem eigenen neuen Album "Blues in Mind“. Auch über den Pianisten Daerr läßt sich - wieder mal - nur Gutes sagen, wie er z.B. in "Wiedersehn" mit leichter Hancock-Hand ein Solo streut oder am präparierten Piano durch die Tränentropfen von "Spanish Eyes" staccato stolziert.
Wer aber spielt hier
unisono mit ihm die Melodica? Das wüßte man gern, das steht nirgendwo verzeichnet.
"Celebrating Bert Kaempfert - The World we knew" ist ein schönes neues Kapitel im
Great German Song Book, quasi ein Dell für den "Massen"-Markt. Der jetzt in Berlin lebende Vibraphonist verzichtet hier auf das Vokabular seines Trios, nämlich metrische Modulation. Mit deren Hilfe wäre er noch viel weiter von Kaempfert entfernt gelandet - aber das wäre ein Thema für einen anderen Produzenten.

erstellt: 08.02.07

©Michael Rüsenberg, 2007, Nachdruck verboten