„Die vulnerable Gesellschaft“ > Jazzfans in London

Die Metropolitan Police (im deutschen Sprachgebrauch: Scotland Yard) hat eine sehr spezifische Opfergruppe ausgemacht:
„Jazzfans, die den Veranstaltungsort spät in der Nacht verlassen, zur Zielscheibe für illegale Taxis werden könnten, die ´verletzliche, betrunkene, alleinstehende Frauen ausnutzen´ sowie Handy-Diebstähle zum Ziel haben“, wie sie der Londonder Standard zitiert.
Es handelt sich nicht um vergangene, sondern um zukünftige Verbrechen.
Gym Box LondonAuch deren Ort ist bereits bekannt: 42 - 49 St Martin's Lane, London WC2N 4EJ, ein seit 2023 leerstehender Fitnessclub, unweit Trafalgar Square.
Dort will das Blue Note New York eine Dependance mit 350 Sitzplätzen einrichten, nach Rio, Tokio, Los Angeles, Beijing, Shanghai unbestritten eine weitere top Adresse.
Die Polizei ist dagegen, der Bürgermeister von London (City Hall) dafür. Er unterstützt das Projekt gegenüber UK Jazz News mit folgenden Worten:
Grassroots venues bieten eine Plattform für aufstrebende Künstler und geben dem Publikum die Möglichkeit, Musik in intimen Räumen zu genießen. Der weltberühmte Blue Note Jazz Club wird eine fantastische Bereicherung für das Nachtleben und die Kulturszene im West End sein, und City Hall steht in Kontakt mit den Betreibern, um jede mögliche Unterstützung anzubieten.“
(Aufschlussreich im Land von handy- und no go-Denglisch dürfte der Terminus grassroots venues für Clubs, also auch Jazzclubs, sein.)

Die Clubdichte in der britischen Hauptstadt, so zitiert der Standard wiederum das Bürgermeisterbüro, habe sich von 144 (2007) auf 94 (2016) reduziert. Eine andere Untersuchung kommt zu dem Schluss, das im UK pro Woche ein grassroots venue dichtmacht.
Kern des Problems ist offenbar gar nicht das Blue Note oder Jazz per se, sondern die Öffnungszeit: täglich nicht bis 11 pm, sondern 1 am, bei voller Alkohollizenz, wie sie ein namentlich nicht benannter Anwohner vorgebracht hat.
Eine online Petition auf change.org ist eingerichtet; sie hat die Zielmarke von 1.000 Stimmen binnen kurzem erreicht - aber offenbar (noch) nicht das erwünschte Ziel, die Öffnungszeit nicht auf 23 Uhr zu beschränken.
Damit der „significant threat to the talent pipeline”, wie es so schön in der Studie des Music Venue Trust heisst, die erhebliche Bedrohung für die nachrückenden Talente, sich nicht noch mehr ausweite.

PS (26.03.25): In einem Interview mit Sky News kündigt Steven Bensusan, Chef von Blue Note Entertainment, an, Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Stadtrates von Westminster City einzulegen, die Öffnungszeit der neuen Filiale auf 11pm zu beschränken:
"In jeder Stadt, in der wir jemals einen Club eröffnet haben, haben sie  uns den roten Teppich ausgerollt und wirklich versucht, mehr als das zu tun und uns dort zu haben, weil sie wissen, dass wir gut für die Wirtschaft sind. Wir schaffen eine Menge Arbeitsplätze und bringen nicht nur das Nachtleben, sondern auch ein kulturelles Ereignis in die Stadt. Sowas habe ich noch nie erlebt.“

erstellt: 16.02.25, aktualisiert 19.02.25
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