MARC COPLAND QUARTET Dreaming *******
01. Eronel (Monk), 02. All that´s left (Marc Copland), 03. Dreaming (Gress), 04. LST (Copland), 05. Destination unknown (Verheyen), 06. Passing through, 07. Figment (Gress), 08. Yesterdays (Jerome Kern)
Marc Copland - p, Robin Verheyen - ss (1-4), ts (5-8), Drew Gress - b, Mark Ferber - dr
rec. 04./05.12.2022
InnerVoice Jazz IVJ108
Was ist Jazz?
Die Frage ist so alt wie die Gattung. Meist wird sie im Sinne des Kerns ihrer Zwiebelform gestellt, also „Was ist (noch) Jazz?“
Der Pianist, Produzent, Autor Ben Sidran hat sich vor Jahren augenzwinkernd aus der Affäre gezogen, indem er deklarierte:
wo Miles Davis, da ist Jazz. „This man defines“.
Und er ging noch einen Schritt weiter: „If this man orders a cheeseburger, it becomes a Jazzburger!“
Eine Anekdote sondergleichen, allerdings wenig hilfreich in der täglichen Abgrenzungsarbeit.
Aber, es gibt sie noch, die Künstler, die nicht „Grenzen überschreiten“, die nicht neue Hörperspektiven vermitteln oder sonstwie an den Koordinaten rütteln wollen. Die jegliche Begriffsarbeit erübrigen, weil sie unzweideutig erkennen lassen, was sie machen: sie spielen Jazz.
Marc Copland, 77, ist einer von ihnen.
„File under jazz“ füllt sich auf analogen und digitale Karteikarten seit Jahrzehnten quasi automatisch für seine zahlreichen Produktionen aus. Er arbeit mit einem überschaubaren Stamm an Leuten, er bevorzugt die kleinen Ensembles, er verfährt bei seinem jüngsten Album nach dem gleichen Prinzip wie bei dem Vorgänger und den Vorvorgängern:
Zwei Standards („Eronel“, „Yesterdays“), ein paar neue Stücke („All that´s left. „Dreaming“), Stücke von Kollegen („Destination unknown“, „Passing through“) und immer wieder Remakes („LST“, „Figment“), letzteres bereits zum dritten Mal.
Und wenn man nur flüchtig das Produktionsjahr überfliegt, könnte man, da die Mannschaft identisch ist, annehmen, das Quartett habe 2022 in einem Rutsch soviel Material aufgenommen, dass es jetzt halt auf zwei Alben ausgegeben wird.
„Someday“ ist im Januar 2022 in New York City entstanden, der Nachfolger „Dreaming“ aber im Dezember jenes Jahres, und das auch noch in swingin´ Osnabrück (wo die „Fattoria Musica“ einen astreinen Ruf geniesst), dann aber doch gemastert im Mai 2024 in NYC.
Nichts aber wiederholt sich. Marc Copland zwingt uns erneut, das Ohrenmerk auf Details zu richten, die Unterschiede wahrzunehmen. Gegeben freilich sind wie immer - und das nimmt ungeheuer für das Album ein - Eleganz & Grazie, von den ersten Takten an.Das Album startet mit einem weniger gespielt Standard von Thelonious Monk, „Eronel“, von 1963; ein medium swing, den das Quartett in zweitem Teil mit der alten Jazztugend des tradin´ fours ehrt, dem Solistenwechsel nach jeweils vier Takten.
Sogleich auffällig das gleichsam jubilierende, exakt durchphrasierte Sopransaxophon von Robin Verheyen. Zu seinen Nuancen gehört ein ganz kurzes Aufflackern der multiphonics, wie er sie vermutlich bei seinem Lehrer Dave Liebman an der Manhattan School of Music kennengelernt hat.
Robin Verheyen, 1983 geboren in Turnhout nahe Antwerpen, lebt inzwischen ganz in New York City. Die erste Hälfte des Albums spielt er Sopran, in der zweiten Hälfte wechselt er zum Tenorsaxophon. (Auch dies formal eine seltene Praxis).
Hier beeindruckt er am meisten. In der tonal sehr offenen rubato-Ballade „Passing Through“ gesellt er sich quasi zu Hayden Chisholm, indem er (wie jener auf dem Alt) auf dem Tenor einen nahezu flötenhaften Ton zaubert.
„Passing Through“ und „Destination Unkown“, das auf einem fast nur angedeuteten Bolero-Rhythmus sich bewegt, sind erneut Kleinode von Verheyen; vielleicht nicht ganz so spektakulär wie sein „Encore“ auf dem Vorgängeralbum, das auf einem alt-europäischen cantus firmus ruht.
Auch „Figment“ stammt nicht vom Bandleader, sondern vom Bassisten Drew Gress, wegen seiner geradezu paradoxen Begabung als stoisch & variabel allseits beliebt. Copland greift das leicht rockige Stück mit seinen vielen Akkordwechseln nach 2017 und 2020 zum dritten Male auf, „und ich glaube, dieses Mal haben wir es wirklich geschafft“.
Nämliches gilt für „LST“ (2013, 2016). Der Titel ist ein Akronym und beschreibt ausbuchstabiert ziemlich exakt seinen Charakter: „LST“ steht für Little Swing Tune; es schließt mit einer ewig jungen Form aus dem Handwerkskasten des Jazz, indem das Quartett Mark Ferber gegen den Kern des Themas antrommeln lässt, yes folks drum-solo gegen riff.
erstellt: 14.05.25
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