KIT DOWNES-PETTER ELDH-JAMES MADDREN Vermillion ******
01. Minus Monks (Kit Downes), 02. Sister, Sister, 03. Seceda, 04. Plus Puls (Petter Eldh), 05. Rolling Thunder (Kit Downes),
06. Sandilands (Petter Eldh), 07. Waders, 08. Class Fails, 09. Bobbl’s Song (Kit Downes), 10. Math Amager (Petter Eldh), 11. Castles made of Sand (Hendrix)
Kit Downes - p, Petter Eldh - b, James Maddren- dr
rec. 05./06.2021
ECM 2721
KAJA DRAKSLER-PETTER ELDH-CHRISTIAN LILLINGER Punkt.Vrt.Plastik - Zurich Concert *********
01. Nuremberg Amok (Lillinger), 02. Axon,03. Trboje (Draksler), 04. Vrvica I, 05. Amnion, 06. Body Decline - Natt Raum (Eldh),
07. Morgon Morfin, 08. Vrvica I (Draksler), 09. Membran (Lillinger), 10. Traces of Veins, 11. Veins, 12. Zug, 13. Azan (Lillinger)
Kaja Draksler - p, MIDI quarter tone keyboard, Petter Eldh - b, Christian Lillinger - dr
rec. 14.05.2021
Intakt CD 380/2022
(erscheint Anfang März)
Viele Künstler haben ein Leben auch schon bevor sie zu ECM stoßen (eben deshalb werden sie ja „gesigned“).
Am Beispiel des stilistischen, insbesondere des klang-ästhetischen Unterschiedes, der sich dann manifestiert, lässt sich die viel-beschworene ECM-Ästhetik weitaus besser beschreiben, als - sozusagen aus dem Stand heraus - für alle Künstler noch dazu des gesamten Kataloges.
Als Paradebeispiele bieten sich zwei britische Piano-Trios an: Django Bates Beloved Bird und jetzt das von Kit Downes, vormals Enemy.
Das Vorher-Nachher ist jeweils frappierend.
Der Wandel wird ebenso flankiert (und legitimiert) durch eine Erzählung, pardon: ein Narrativ über den Hörsinn des Label-Eigners und -Produzenten Manfred Eicher. Kit Downes fügt nun weitere zu diesen „million-manfred-eicher-ears-stories“ hinzu.
Demnach ist nicht ihm am Steinway-Flügel, sondern jenem ein minimal falsch gestimmter Ton aufgefallen; obendrein habe dessen Empfehlung, ein Mikrofon um „Daumesbreite“ (Downes) zu verschieben, große Auswirkung auf den Klang gehabt.
Nicht unähnlich ließ sich seinerzeit Django Bates ein.
Was - bei aller stilistischen Divergenz und der Personalie Petter Eldh - beide Trios verbindet, ist mehr oder weniger ihre vormalige Nähe zu einer „right into your face“-Spielhaltung - unter Eichers Regie in den Studios von Oslo (Django Bates) bzw. Lugano (Kit Downes) ist sie mehr oder weniger verschwunden zugunsten jener viel-gerühmten (Achtung Klischee!) „adagio Stimmung“.
Wenn man Kit Downes folgt, hat sich das Trio - vormals in gleicher Besetzung Enemy genannt - aus freien Stücken dafür entschieden:
„Wir sind in einen Bereich vorgedrungen, in dem wir bisher noch nicht gespielt haben, nämlich in einen eher kammermusikalisch orientierten Sound. Die komplexe rhythmische Komponente ist immer noch intakt, aber sie ist in eine andere Ästhetik gehüllt.“
Als Referenz dient ihm dazu sein pianistischer Mentor John Taylor (1942-2015): „Er wollte neue Dinge geschehen lassen und war davon besessen, musikalisch Risiken einzugehen“.
Ob dieser Motivtransfer zutrifft, ob man ihn auch als Zuhörer dies nachvollziehen kann, bleibt schwer zu entscheiden.
Auch wenn man nicht der gängigen Vorstellung anhängt, wonach „musikalisch Risiken Eingehen“ in großer Geste, in dramatischer Expression sich zeigt, spricht die Anmutung doch dagegen.
Die Klangqualität ist superb, das Zusammenspiel - insbesondere in parallelen Läufen von Piano und Kontrabass - delikat, es herrscht kein Mangel an applaus-pflichtigen Nuancen.
Aber würde, wer nichts über diese Produktion weiß, in den süffigen Kantilenen das früher so genannte Trio Enemy erkennen, oder vielleicht doch nicht eher das Bobo Stenson Trio?
Die composer credits sind nun hälftig geteilt; Kit Downes und Petter Eldh jeweils fünf Stücke. Auch letzterer hat sich nun angepasst, seine Kinderlied-Melodik klingt erst in „Sandilands“ an, es ist das wohl am meisten als Jazz zu charakterisierende Stück, mit einer geradezu Chick Corea-artigen Leichtigkeit. Nämliches, wenn auch mit anderem Groove, zeichnet auch das danach folgende „Waders“ aus.
Aber es fehlt einfach der punch, der das Vorgängeralbum auszeichnete.
Der letzte track dann, ja das ist wirklich eine Überraschung, vielleicht sogar ein musikalisches Risiko, weil hier in ganz fremder Besetzung ein Stück elektrischer Aufwallung aufgegriffen wird. Aber „Castles made of Sand“ ist nun mal eine Hendrix-Ballade, und deren Interpretationspraxis lehrt, dass sie sich weit forttragen lassen. Immerhin spendiert sie hier dem Album das, was man die ganze Zeit vermisst hat: einen, wenn auch mit spitzen Fingern angefassten vamp.
Punkt.Vrt.Plastik - obwohl in der gleichen Instrumentierung, obwohl mit demselben Bassisten - klingt nicht nur wie aus einer anderen Welt, es ist auch eine andere:
eine andere Stilistik, eine andere Ästhetik.
Zinnoberrotes („Vermillion“) adagio und legato-Bindungen sind ihr fremd, es ist eine Welt des staccato, des Perkussiven, eine Welt der Wiederholungen.
Vamps bis zum Abwinken, oft über 2 Takte („Axon“, „Vvrica II“), manchmal nur über einen Takt („Trboje“).
Die Tempi sind hoch, und wenn nicht, macht ihnen ein accelerando Beine.
Die drei Stimmen sind nicht miteinander sanft verwoben, sie sind eckig miteinander verzahnt, häufig hält eine die Form, die beiden anderen schwärmen aus oder auch zwei gegen eins. Gerne die hoch-verdichtete Rhythmusgruppe gegen die extrem perlenden Piano-Linien von Kaja Draksler.
Ihr kurzes Solostück „Vvriva I“ klingt, als habe György Ligeti (1923-2006) die Töne von „I got Rhythm“ vertauscht und neu gewichtet.
Wie meist geht auch dieses Stück nahtlos in das nächste über, und in „Amnion“ breitet sie doch tatsächlich vier konventionelle Jazzakkorde aus, gegen die Petter Eldh und Christian Lillinger - selbstverständlich! - anspielen.
Das Stück nimmt eine überraschende Wendung, als sie bei 4:17 aus der Pianofigur der Ritualszene des Kubrick-Filmes „Eyes Wide Shut“ (Musik: Jocelyn Pook) zitiert. Baß und Schlagzeug leiten die „Coda“ ein, die aus der Diatonik kippt: das Piano klingt „verstimmt“, weil Kaja Draksler zum Midi quartertone keyboard wechselt und damit in den Bereich der Mikrotonalität.
Dramaturgisch übergangslos gleitet sie wieder in die Diatonik und ihr eigenes rubato-Thema von „Body Decline“, ab 1:35 hämmert Petter Eldh fast zwei Minuten lang einen einzigen Ton („g“) in Achtelketten, ein unglaublich schlichter, aber effektiver Kunstgriff, untermalt von Lillingers drum breaks. Bei 4:00 erlöst sie ihn mit Eldhs eigener Kinderliedmelodie von „Natt Raum“.
Der 2-Takte-vamp von „Vvrica II“ ist schon erwähnt, ein Duo aus Piano und Schlagzeug, an Dringlichkeit kaum zu überbieten. Wo der alte FreeJazz hier auf Cluster gesetzt hätte, bleibt Drakslers Spiel fast durchgängig in Einzeltönen erkennbar.
Lillingers „Membran“ pendelt zwischen frei-metrisch und uptempo swing, irgendjemand lacht dreckig dazwischen - man möchte es ihm gleichtun und schreiend in diesem Taumel mitversinken.
Nach einem Viertelton-Intermezzo („Veins“) wird noch einmal ein „Zug“ über diverse Weichen geführt, bevor er in einem uptempo swing davonbraust.
„Zurich Concert“ ist Produkt eines Konzertes (ohne jeden Applaus) am 14. Mai 2021 in der Roten Fabrik, direkt am Zürich-See. Bis auf die mikrotonalen Anteile enthält es nichts Neues, das Trio wiederholt im Prinzip Teile aus seinen beiden Vorgänger-CDs.
Aber das ist keine Einschränkung, wenn die Parameter der Expression permanent kurz vor dem Überkippen in den roten Bereich flackern.
Das derzeit wohl expressivste Jazzpiano Trio Europas (möglicherweise auch darüber hinaus) zu erleben, ist ein durchschüttelndes Ereignis.
erstellt: 17.02.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten