MARQUIS HILL New Gospel Revisited *******

01. Intro (Marquis Hill), 02. Law & Order, 03. Walter Speaks (feat. Walter Smith III), 04. The Believer, 05. Oracle (feat. Kendrick Scott), 06. New Gospel, 07. Lullaby (feat. Joel Ross), 08 Autumn, 09. New Paths, 10. A Portrait Of Fola, 11. Perpetual (feat. Harish Raghavan), 12. The Thump, 13. Farewell (feat. James Francies)

Marquis Hill - tp, Walter Smith III - ts, Joel Ross - vib, James Francies - p, Harish Raghavan - b , Kendrick Scott - dr

rec. 08.12.2019
Edition Records ECN 1190*

Dass ein Musiker mit seinem 13. Album noch einmal sein Debüt überarbeitet, ist, dem Zahlenmythos zum Trotz, diesmal doch ein Glücksfall. Mit Marquis Hill, der mit seinen 34 Jahren älter ausschaut als er ist, hat sein neues englisches Label Großes vor.
Es will seinen Neuerwerb der Welt als „a leading voice in his generation of musicians“ präsentieren. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Denn wer seine vorherigen Alben querhört (weil er nirgendwo hängenbleibt), wird darin wenig entdecken, das zu Vorschusslorbeeren Anlass böte.
Der Trompeter aus Chicago, der die windy city nach einem Master in Jazzpädagogik 2014 in Richtung New York verlässt, gewinnt noch im gleichen Jahr die Thelonious Monk Institute Trumpet Competition (und darf sich mit Bill Clinton fotografieren lassen).
Technisch hat er wirklich einiges drauf, einen festen, eher dunklen Ton, man mag ein wenig Freddie Hubbard oder auch Donald Byrd darin entdecken. Er ist intonationssicher und immer bereit zum Sprung. Er neigt dazu, die Phrasen schnell abzuschließen und nicht butterweich ausklingen zu lassen Sehr eindrucksvoll.
Discographisch aber legt er bis dato einen seltsamen Gemischtwarenladen vor: viel Neo-Soul, auch semi-Meditatives; und was darin nach Jazz, nach Postbop klingt, würde sich auch in der treuherzig-ironischen Bewertung eines Michael Naura bestimmt nicht als „sehr gut im Mittelfeld“ lokalisieren lassen.
Dass ein Mann mit einem solchen Ton von Repertoire und Konzeption her auf so wackligen Füßen steht, ist erstaunlich. Auch sein Debüt, 2011 mit lokalen Musikern in Chicago aufgenommen, wirkt schlapp; der Titel „New Gospel“ ist ein Versprechen, das es nicht einlöst.
cover Marquis Hill 1Das kann nur besser werden. Und das gelingt: weniger stilistisch (wirklich „new gospel“-artiges bleibt auch hier ein nicht eingelöstes Versprechen), aber von der Interpretation her.
Marquis Hill hat einfach sehr gute Leute dabei. Einen tollen Tenoristen, Walter Smith III; eine sehr agile Rhythmusgruppe mit Kendrick Scott und den vom Trompeterkollegen Ambrose Akinmusire her beeindruckenden, tamilisch-stämmigen Harish Raghavan. Nicht zu überhören James Francies, der hier im gleichen Zeitraum, als er mit Pat Metheny spielt, wiederum eine glänzende Vorstellung bietet. Und Joel Ross.
Hill ist von seinen Männern so beeindruckt, dass er einem jeden ein kurzes Solo-Feature spendiert, sich selbst nicht ausgenommen („New Paths“).
Darin besteht die formal deutlichste Differenz zwischen „New Gospel“ und „New Gospel Revisited“ - eine nette Dreingabe, der es eigentlich nicht bedurft hätte, um die herausragende Qualität dieser Kollegen zu belegen. Denn die Stücke selbst sind zu nichts anderem angelegt, als Improvisatoren Auslauf zu gewähren.
Allein drei von ihnen stammen aus Houston bzw. haben dort die vor-akademische Talentschmiede High School for the Performing and Visual Arts besucht: Kendrick Scott, James Francies und Walter Smith III, 41.
Letzterer leitet inzwischen die Holzbläserabteilung an der Berklee School of Music in Boston. Smith kann es gut mit Trompetern (Ambrose Akinmusire, Terence Blanchard, Christian Scott), seine Erfahrung mit Raghavan bei Akinmusire zahlt sich hier aus.
Das interplay der beiden mit Francies und Scott z.B. in dem uptempo „A Portrait of Fola“ ist betörend. Fast ein jedes Solo von Walter Schmitz (darf man ja wohl in Köln sagen) auf diesem Album ist in der JC-Datenbank mit einem „!“ markiert.
New Gospel? So what!
Die interpretatorische Qualität dieser Performance stellt den konzeptionellen Wert ihrer Architektur in den Schatten. Nichts daran ist neu, aber vieles mitreissend. Eine Art zeitloser Modern Jazz, für den die entsprechend Vorbeschallten jederzeit aufnahmebereit sind und nicht nach den Umständen fragen.
Der Weg- pardon, die Performance ist das Ziel.

*wird am 11. März veröffentlicht

erstellt: 01.02.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten