CHRISTIAN LILLINGER The Meinl Session (…)

01. Setting I (Lillinger), 02. Setting II, 03. COR, 04. Setting III, 05. Plastic, 06. Setting IV, 07. A.S.G., 08. Setting V (for Eldh), 09. Koma Kali (Eldh, Sandsjö, Lillinger), 10. Setting VI (Lillinger), 11. Setting VII

Christian Lillinger - dr, Elias Stemeseder - synth, Otis Sandsjö - ts, Robert Landfermann - b, Petter Eldh - b

rec. 01./02.05.2019
Plaist 005 (CD/LP)

Man stelle sich vor, wie die Jazzkritik zu anderen Zeiten mit einer Produktion wie dieser verfahren, nein umgesprungen wäre.
Allein den Markennamen eines Instrumentenherstellers nicht nur im Titel zu verwenden, sondern als Anlaß für eine Produktion zu nehmen, wäre ein Sakrileg erster Ordnung gewesen.
Auch einen anerkannten Künstler hätte man unverzüglich in die Klasse des semi-Jazz (wir wollen keine Namen nennen) herabgestuft. Samt Hinweis auf den Ort seiner Verbannung: die Musikmesse in Frankfurt am Main.
Dort stellen Jahr für Jahr durchweg prominente Künstler (wir erinnern uns z.B. an Bruford) ihr handwerkliches Können in den Dienst von Herstellern, deren Instrumente sie bedienen (inzwischen - Immissionsschutz! - weitgehend lautlos. Man sieht Drummer schwer arbeiten in Kabinen und draußen, davor, eine Gemeinde mit Kopfhörern. Wippend.)
Kaum einer - und schon gar nicht Jazzmusiker, sie sind viel zu un-prominent für solche Dienste - veröffentlicht sein demonstratives Tun. Es gälte zu recht als „for drummers only“. Allenfalls finden sich sogenannte endorser-Hinweise später in den liner notes von Tonträgern.
Christian Lillinger aber tut Ersteres.
Er verwendet Produkte, hauptsächlich Cymbals, von Roland Meinl Musikinstrumente aus dem 1267-Einwohner-Dorf Gutenstetten in Mittelfranken, aufgenommen in einem Studio in Berlin.
Sieben von elf Stücken sind der Art, dass er sie auch auf der Musikmesse darbieten könnte; in einer e-mail an das englische Magazin The Wire betont er, er habe alles live eingespielt. Dass er dabei von „Konzepten“ sich leiten lässt, versteht sich bei einem Künstler im Range Lillingers von selbst.
cover lillinger meinlEr demonstriert also in der Mehrzahl der Stücke seinen einzigartigen Personalstil, seine - um überhaupt mal eine Referenz zu bemühen - ultra-abstrahierten drum´n´bass-patterns.
Mal stehen die Becken im Vordergrund („Setting II“, „Setting VII“), mal eher bassdrum und snare („Setting III“), selbst eine Sprungfeder kommt zum Einsatz („Setting VI“).
In der Minderheit der Stücke hört man eine jeweils wechselnde Auswahl seiner Kollegen in einem hoch-tourigen Post FreeJazz, kurz & knapp. Wobei „Koma Kali“ wie ein remake eines Stückes aus Petter Eldh´sKoma Saxo“ angelegt ist.
Oft sind sie schon vorbei, bevor man die Idee eines Stückes erkennen konnte - kein Wunder bei einer Gesamtlaufzeit von knapp unter 20 Minuten für die gesamte CD.
Wenn man alle vorherigen Produktionen von Christian Lillinger kennt (insbesondere die überragende „Open Form for Society“ muten diese elf Stücke - und erst recht unter ihrer Überschrift - unfertig an; wie Skizzen, die irgendwann einmal in einer gültigen Form aufgehen könnten.
Es ist ein „for drummers only“, das unsereins ratlos macht - und sich aus dieser Perspektive einer Bewertung entzieht.
Andere sehen es anders. Der geschätzte Andy Hamilton, der „Open Form for Society“ kennt, meint in "The Wire" (12/2019), „The Meinl Session“ enthielte in 20 Minuten „mehr große Musik als viele Alben, die dreimal so lang sind“.
Das kann Andy als Kritiker gut sagen, in seinen musik-philosophischen Schriften müsste er sich eine solche Wertung verkneifen.

erstellt: 27.11.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten