GIL EVANS ORCHESTRA Hidden Treasures Volume One, Monday Nights *******
01. Subway (Pete Levin), 02. LL Funk (Miles Evans), 03. I Surrender (Delmar Brown/Alex Foster), 04. Groove from the Louvre (John Clark), 05. Lunar Eclipse (Masabumi Kikuchi), 06. Moonstruck (Gil Evans), 07. Eleven
Kenwood Dennard – dr, Mino Cinelu – perc, Mark Egan – bg, Darryl Jones - bg (2), Matthew Garrison - bg (bg-solo 2), Pete Levin – keyb, Miles Evans, Shunzo Ohno – tp, David Taylor - btb , John Clark - frh, Chris Hunter – as, fl, Alex Foster - ss, ts , Vernon Reid - g (2), Paul Shaffer - ep (2), David Mann - as (2), Gil Goldstein - p (1,2,5,6), Delmar Brown - synth (1,2,5), Charles Blenzig - synth (2,3,4,7), Gabby Abularach - g (1,4,5), Jon Faddis - tp (1,5,6), Dave Bargeron - tb (1,5,6), Gary Smulyan - bars (1,5,6), Alden Banta - bars (3,4,7), Birch Johnson - tb (3,4,7), Alex Sipiagin - tp (3,4,7)
rec. ?
Bopper Spock Suns Music GEO-34752
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Dies.Ist.Die.Erste.Studioaufname.Des.Gil.Evans.Orchestra.In.Über.40. Jahren.
Was wie eine alarmierende Nachricht aussieht, ist gar keine.
Kann keine sein, denn das Orchester existiert seit 1994 nicht mehr.
Eigentlich müsste man genauer vom Gil Evans Monday Night Orchestra sprechen, einem losen Verbund von Musikern um Gil Evans (1912-1988), die sich zwischen 1983 und 1994 sporadisch montags in einem Club in Greenwich Village trafen, im „Sweet Basil“ ( dessen Inhaber, Horst Liepolt, geboren in Berlin, jüngst im Alter von 91 Jahren verstorben ist).
Wer kam, konnte spielen; vorausgesetzt, er gehörte zu einem bestimmten Musikerzirkel. Wer kam, konnte auch mühelos einsteigen. Die Band war immer sehr an Solisten interessiert, das Repertoire begrenzt, die Arrangements lose und fern von der Komplexität, die auch damals Big Bands auszeichnete.
Heute könnte man keinen WDR Jazzpreis damit gewinnen.
Montags im „Sweet Basil“, das war eher eine musikalische Betriebsfeier.
Wer tagsüber in den New Yorker Studios einem bread & butter-Job nachgegangen war, konnte hier unter Kollegen mal die Sau ´rauslassen. Und sein Solo gerne auch um einen Chorus und noch einen verlängern.
In der Umgebung des legendären Bandleaders fühlten sich alle wohl. Und wenn der lange schon greise wirkende Mr. Evans ein paar seiner sparsamen Akkorde auf dem Fender Rhodes anschlug (das Coverfoto gibt seine Haltung idealtypisch wieder) - umso besser.
Als Zuhörer musste man die Enge des Clubs nie selbst erfahren haben, den wechselnden Besetzungen gelang es auch auf etlichen Europa-Tourneen spielend, die New Yorker Betriebstemperatur ad hoc vorzutäuschen.
Und genau darum geht es dieser Produktion.
Nicht um die filigranen Arrangements aus den 40er bis 60er Jahren, z.B. aus der Arbeit mit Miles Davis, sondern um die Stücke, die Gil Evans mit seinen Leuten in den späten 70er/frühen 80er Jahren gespielt hat.
Man kann sie umstandlos als Jazzrock klassifizieren.
Erstaunlich viele aus dieser Ära sind jetzt auch bei ihrer Reproduktion mit dabei. Dazu Musiker in kurzen Gastrollen, die einem von anderswo, nicht aber aus den Monday Nights vertraut sind: die beiden Baßgitarristen Darryl Jones (ex Miles Davis, Rolling Stones) und Matthew Garrison, Vernon Reid mit einem kurzen Gitarrensolo, und sogar P
aul Shaffer, der ewige musikalische sidekick aus der „Late Show“ mit David Letterman.
Formal nur in einer Hintergrund-
rolle in drei tracks, aber substantiell im Vordergrund steht Delmar Brown (1954-2017), einer der wenigen keyboard-Spieler des Jazz.
Was hat der mit seinen Klangfahnen die Konzerte bestimmt!
An seinem zentralen Beitrag ist er im Studio gar nicht aktiv beteiligt, an der Ballade „I surrender“, die er mit Alex Foster geschrieben hat - der Höhepunkt des Albums.
„I surrender“, der Titel ist wohlgewählt für den „Verzicht“ auf Struktur.
Das Thema im Intro besteht aus ganzen fünf Tönen, im Haupt-
thema treten einige wenige hinzu. Sie zerfließen mit den Variationen in der Improvisation, die Alex Foster´s Tenor mit der Inbrunst eines shouters vorträgt (der immer auch Platz in diesem Orchestra hatte, denken wir an George Adams).
Foster entfaltet vor mächtigem Hintergrund zwei lange Bögen im crescendo.
Auch ein weiterer Verstorbener ist vertreten: Masabumi Kikuchi (1939-2015) mit dem Morse-Thema von „Lunar Eclipse“, das Pianosolo darin übernimmt Gil Goldstein, gefolgt von einem Perkussions-Duo aus Mino Cinelu und Kenwood Dennard.
Vom Großen Meister selbst wird „Moonstruck“ augeführt, eine kurze Skizze, entstanden kurz vor seinem Tod am 20. März 1988. Sie führt zurück in seine Arrangements in den 50er Jahren; sie klingt nicht gut, den heute im Studio Versammelten (man sieht sie in einem Video in Sommerkleidung) fehlt die Präzision, der gemeinsame Atem. Und den Toningenieuren einfach auch ein Händchen für ein solches Klangvolumen.
Der Schluß, „Eleven“, klingt so, wie man ihn aus den Konzerten in Erinnerung hat: ein uptempo swing, unterbrochen von einem querstehenden staccato-Thema, das wenig damit zu tun hat.
Es soll in 11/4 stehen, was sich dem Ohr nicht erschließt.
„Eleven“ hieß zuvor „Petits Machins“. Unter diesem Titel hatte es Evans 1968 auf Miles Davis´“Filles de Kilimanjaro“ untergebracht. Wenn man dies zum Vergleich hört, mit einem Tony Williams drum-Feuerwerk im Hintergrund, dann wird einem ganz anders.
Das ist jazzhistorisch denn doch eine andere Liga als dieser erste Teil
der „Hidden Treasures“, der verborgenen Schätze; Auftakt einer Trilogie, in der die Evans-Söhne Miles und Noah noch „The Classics“ planen, moderne Interpretationen von Evans´ Original-Arrangements u.a. von „My Ship“ und „The Meaning of the Blues“ sowie abschließend „Gil & Anita“, gemeint seine erste Ehefrau Anita Powell, die Mutter der beiden.
Wir sind gespannt.
erstellt: 13.02.19
©Michael Rüsenberg, 2019. Alle Rechte vorbehalten