LUZIA VON WYL ENSEMBLE Throwing Coines ********
01. Chromatika (von Wyl), 02. Q, 03. Akamai, 04. Solifati, 05. Wasps, 06. Antumbra, 07. Chromatika II, 08. Spark
Luzia von Wyl - p, Amin Mokdad - fl, Nicola Katz - cl, Lukas Roos - vcl, Maurus Conte - bassoon, Vincent Milioud - v, Jonas Iten - vc, André Pousaz - b, Raphael Christen - mar, Lionel Friedli - dr, Andrea Loetscher - fl (4,5)
re. 08.-10.09.2017
hatOLOGY 753
„Ich habe erst richtig Improvisieren gelernt, seit ich Mutter geworden bin.“
Luzia von Wyl, 33, äußert diesen Satz im Gespräch mit der NZZ.
Für eine Jazzpianistin ist er erklärungsbedürftig, er stellt die Wertehierarchie der Gattung auf den Kopf.
Offenkundig zielt sie damit auf ihren aktuellen Alltag, auf das Austarieren der neuen Rollen (und betont damit, ohne es zu bemerken, Improvisation als eine Lebenspraxis, die sie selbst schon vor jeder jazzmusikalischen Handlung betrieben hat. Denn Improvisation gehört zur Grundausstattung des Menschen).
„Andrerseits bestimmen Flexibilität und Multitasking ihren auf Effizienz ausgelegten Lebensstil und ihre künstlerische Autonomie so sehr, dass sich das auch in ihrer Musikalität niedergeschlagen hat.“
Diese interpretierende Beobachtung der NZZ trifft zu: Improvisation wird in der Musik von Luzia von Wyl deutlich niedriger gehängt.
Der erste Solopart (wenngleich keine Improvisation), dem wir hier begegnen, dauert ganze acht Takte und wird von einem Fagott (!) geführt.
Damit ist schon einiges über ihre Musik gesagt.
Sie legt a) sehr viel mehr Wert auf Komposition, sie ist b) klangfarblich von jazz-fernem Instrumentarium durchdrungen. Ja, man kann sie auch wegen der kleinen Kammer-Besetzung durchaus dem Thirdstream zurechnen, der seit Mitte der fünfziger von Gunter Schuller (1925-2015) so genannten Verschmelzung von Klassik und Jazz.
Das ist selbstverständlich eine allergröbste Klassifizierung. Man muss sie in diesem Falle subito um einige Spezifika erweitern, beispielsweise im Rhythmischen. Luzia mag uns in einem Video mit ihrem Augenklimpern herzliebst bezircen und auf eine falsche Fährte führen - sie hat eine ausgeprägte Vorliebe für Rock-Beats.
Und die transportieren sehr oft ostinati, gerne auch polyphon verschlungene Figuren, die sich ebenso gerne in großem Drama aufschaukeln. Nicht selten braucht man Zeit, um ihrer Machart auf die Spur zu kommen, beispielswiese dem 11/8-Groove in „Spark“.
Ja, Frau von Wyl mag zwar so aussehen, aber sie schreibt keine coffe table music, sie lässt es ganz schön krachen.
Und sie hat mit der Rhythmsgruppe André Pousaz und Lionel Friedli auch die richtigen Leute dafür.
„Throwing Coines“, der Titel des Albums bezieht sich auf die vielgeübte Praxis, an der Fontana Di Trevi Münzen über die Schulter in den Brunnen zu werfen.
Luzia von Wyl hat 2015 einige Zeit in Rom verbracht.
Und mit Brian Morton sind wir gerne der Auffassung, dass dies eindrucksvoll gewesen sein muss.
In seinen liner notes verwendet er viel Platz für die optische Folklore der Stadt, und vermutlich hat auch „something“ des „geschäftigen und fröhichen Treibens der Stadt“ Eingang gefunden „in die Art, wie diese Platte gemacht wurde“.
Dumm nur, dass man davon wenig hört; zumal Morton bei mehreren Stücken ganz andere Quellen nennt.
„Q“ beispielsweise, der track 2, bezieht sich auf die gleichnamige U-Bahnlinie in New York.
Das Thema in „Antumra“ ist von der Musik der Golfstaaten, also arabischer Musik, inspiriert. Und in der Tat, man kann hier viel eher an die Musik von Charles Koechlin (1867-1950) oder auch an Duke Ellington´s „Caravan“ denken als an irgendetwas in Rom.
Und nur wer die Metapher für die vielen Vespas in Rom kennt („Wespen“), kann in „Wasps“ mühsam einen Bezug dorthin herstellen. Klanglich ist das Stück ein Intermezzo für zwei Flöten, a capella.
Davor, in „Solifati“, kommen sie gleichfalls zum Einsatz (mit Andrea Loetscher jeweils als Gast) und im schon erwähnten „Antumbra“ gleich danach. „Solifati“ hat den Frühling in Luzer zum Anlass, und nicht nur hier - in der Art, wie das Fagott geführt wird - darf man wohl auch an Prokofjew´s „Peter und der Wolf“ denken.
Frau von Wyl hat ebenso ein Händchen für plakative Kurzmotive, aber sie hat viel mehr Ahnung von Groove als alle, die den Klassiker der Kindermusik verrockt haben.
Ganz zu schweigen davon, dass sie - wiederum in Solifati - das Putzige auch in den Abgrund stößt, in ein frei-metrisches Gewusel.
erstellt: 19.01.19
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