JON BALKE Warp *****

01. Heliolatry (Balke), 02. This is the Movie, 03. Bucolic, 04. On and on, 05. Bolide, 06. Amarinthine, 07. Shibboleth, 08. Mute, 09. Slow Spin, 10. Boodle, 11. Dragoman, 12. Kantor, 13. Geminate, 14. Telesthesia, 15. Geminate var., 16. Heliolatry var.



Jon Balke - p, sound images, Mattis Myhrland, Wenche Losnegaard - voc, Ellinor Myskja Balke - reading

rec. 09.2014
ECM 2444 4766047

Das Coverfoto führt in die Irre.
Wer aus der Debatte über diese Produktion das Wort von den fieldrecordings aufschnappt und meint, der Birkenwald bringe damit einen Teil der Klangquellen dieses Albums auf den Begriff, liegt falsch.
Fieldrecordings können im Bereich Electronica durchaus als Feld-, Wald- und Wiesen-Aufnahmen verstanden werden; sie wären damit aber nur ein Sonderfall dessen, was damit ganz allgemein erfasst wird - Außenaufnahmen.
Fieldrecordings für „Warp“ stammen von Schulhöfen, Straßenbahnen in Oslo, aber auch aus der Hagia Sofia in Istanbul. Und sie werden, wie in der Elektro-Akustischen Musik üblich, so transformiert, „verfremdet“, dass sie ihre ursprüngliche Klanglichkeit fast vollständig verlieren.
Sie gehen auf in Flirren, Knistern, dunklen Flächen. Sie bilden das Bühnenbild, den akustischen Hintergrund; vorn steht der Flügel, aufgenommen im berühmten Rainbow Studio zu Oslo, aufgenommen von dem nicht minder berühmten Toningenieur Jan Erik Kongshaug.
Die fieldrecordings wurden woanders bearbeitet, von Balke und dem Schlagzeuger Audun Kleive (Mitglied seines Trios) und noch woanders dann, in Lugano/CH, mit den Klavierklängen zusammengemischt.
Eine solche Produktionsästhetik ist selten im Jazz. Man mag allenfalls an „Piano Book“ (2001) von Benoit Delbecq denken (aber da wurde der Pianoklang selbst auch attackiert), man mag manche Klangsprengsel mit Ulrich Lask assoziieren, manche sehr „harmonischen“ keyboard-Klänge tauchen auch bei John Surman auf.
Und zuletzt gab es etwas Verwandtes 2014 bei Erik Honoré („Heliographs“); aber das ist kaum als Jazz zu bezeichnen, obwohl Jon Balke daran mitwirkt.
cover balke warpMit ihm begibt sich nun (nach Delbecq) ein ausgewiesener Pianist auf dieses Feld, ein Groove-Mann obendrein, seine Alben mit Jøkleba gehen ja ordentlich ab.
In „This is the Movie“ glaubt man ihn auch so zu erkennen, ein 3/4-Takt wird angedeutet, akustische Gitarre, keyboard-Flächen, tremolierende Klänge ziehen ein farbiges Bühnenbild auf.
In „Shibboleth“ groovt neben dem Piano auch der keyboard-Hintergrund, Elektronik-Sprengsel wirken wie Perkussionstupfer (früher hätte man vom Sequencer gesprochen).
Hier kommen Vordergrund und Hintergrund einander näher, sind verbunden durch verwandte Bewegungsmuster.

Das ist nicht immer der Fall, häufig bleiben beide auf Abstand: in „Bolide“ z.B. wird die Chance vergeben, das „sakrale“ Piano mit drones von Flugzeug oder Tram richtig zu konfrontieren.
„Kantor“ zeigt den sogenannten „outside club“-Effekt, nur dass hier nichts aus einem Club dunkel nach außen dringt, sondern eine Art Kirchenmusik, unterstützt von einem „stimmigen“ Männer-Vokal.
Es erklingen ein paar glitches, ein paar störende sounds, aber sie stellen nichts in Frage, konfrontieren nicht - in Fragen Kontraste bleibt Heiner Goebbels einfach unerreicht.
„Warp“ verfährt nach dem Motto „Wasch´ mir den Pelz, aber mach´ mich nicht nass!“.
Die Produktion schreit geradezu nach einem Remix, der den Primat des schönen Instrumentalklanges negiert und damit aus ihr herausholt, was in ihr steckt.

erstellt: 15.03.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten