RYAN CARNIAUX QUINTET feat. WOLFGANG LACKERSCHMID Never leave your Baggage unattanded *****
01. Drip Drop (Carniaux), 02. Gentle you, 03. Never leave your Baggage unattended , 04. One Sahel Night (Roelofs), 05. Miss Serious (Carniaux, Roelofs), 06. Hush now (Carniaux), 07. Your Experience may differ (Roelofs), 08. Five Years ago (Lackerschmid), 09. Boogalou (Carniaux)
Ryan Carniaux - flh, Plume - as, Mike Roelofs - p, Ahmed Eid - b, Samuel Dühsler - dr, Wolfgang Lackerschmid - vib (2,6.8.9), mär (4), Rodrigo Villalon - perc (2,3,4), Njamy Sitson - voc (4)
rec. 05/2012
HipJazz 010
Dies ist ein stinknormales Jazzalbum. Es weckt nicht die Erwartung, am Rad der Geschichte drehen zu wollen, schürt aber auch keine falschen Erwartungen - es bewegt sich auf einer todsicheren Bühne, es bedient sich im ewigen Fundus des Hard Bop.
Und es hält sich selbstverständich an dessen ungeschriebenes Gesetz, wie sein Repertoire zu beschaffen sein habe: ein Walzer muss dabei sein („Drip Drop“), Latin, hier eine Samba („Miss Serious“), Modales („Your experience may differ“), ein bißchen Vokal kann nicht schaden („One Sahel Night“) und natürlich Ballade(n), („Five years ago“).
So weit, so konventionell, warum wird es hier behandelt?
Weil es spätestens mit track 2 („Gentle you“) jene Beiläufigkeit. Leichtigkeit, ja Flair aufmerken lässt, die es auszeichnet; mithin also wieder einmal ein Triumph des WIE über das WAS.
„Gentle you“ kommt als midtempo Latin angetänzelt, das Thema, eng geführt von Tenor und Trompete schmeichelt sich ein, der B-Teil bleibt hängen - und gibt etwas zu er-kennen.
Diese Grazie hatten wir nämlich schon einmal und konnten nicht genug davon kriegen: im Herbst 1969, in „Tell me a bedtime Story“ von Herbie Hancock (aus dem „Fat Albert Rotunda“-Album).
(Unvergessen eine Tatort-Szene, wo Gerlinde Locker, die hübsche Ehefrau eines Verdächtigen, Hansjörg Felmy, dem Kommissar, die Tür öffnet und Jazz läuft, eben „Tell me a bedtime Story“. Oder war es umgekehrt?)
Nun gut, bei Hancock waren es drei statt zwei Bläser und Joe Henderson zusätzlich an der Altflöte; hier wird das Vibraphon von Wolfgang Lackerschmid sanft integriert, aber das Piano perlt harmonisch wie weiland bei Hancock, und der Bandleader setzt sein Flügelhorn butterweich obenauf. Kein remake, nein, vielleicht nur eine Assoziation des Rezensenten, aber ein Stück, das wieder und wieder gehört werden will.
Und genau so geht es mit „Your Experience may differ“, das Thema könnte von Randy Brecker stammen, Plume (wer immer das sein mag) „breckert“ überhaupt nicht, er spielt ja auch nicht Tenor, sondern Alt, wenn auch auf eine Art, die einen ins Grübeln bringt...ob nicht doch Tenor (?)
Vielleicht entsteht der Eindruck, weil so spielt, als habe er John Coltrane´s „A Love Supreme“ im Hinterkopf.
Der Bandleader entwickelt sein Solo über denselben offenen, binären Groove, Zwischenthema, dann legt Mike Roelofs am Piano los, er nimmt die Band mit in einen double time swing. Es ist ein Genuss dranzubleiben, zumal auch Roelofs „A Love Supreme“ durchschimmern lässt.
Das ist zu subtil, um als Zitat durchzugehen, aber von einer wunderbaren Beiläufigkeit und Leichtigkeit.
Im Thema des Titelstückes huddelt der Bandleader ein wenig, vielleicht weil ihn das kauzige Englisch verwirrt?
Ryan Carniuax ist von Jahrgang 1980, geboren in New York City, hierzulande fiel er auf in Norbert Stein´s „Pata on the Cadillac“ (2012), mit Mark Egan hat er eine Fusion-Band, inzwischen hat er eine Professur für Jazztrompete an der Folkwang Universität in Essen.
Den Titel des Albums hat er im Hauptbahnhof Zürich aufgeschnappt:
„Don´t leave your baggage unattended“. Unsereins hat nichts daran auszusetzen, dem US-Amerikaner aber kam „baggage“ komisch vor, gebräuchlicher ist „luggage“.
erstellt: 20.04.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten