CHRISTIAN SCOTT Yesterday you said Tomorrow *******

01. K.K.P.D. (Christian Scott), 02. The Eraser (Yorke), 03. After all (Matthew Stevens), 04. Isadora (Scott), 05. Angola, LA & the 13th Amendment, 06. The last broken Heart, 07. Jenacide, 08. American´t, 09. An unending Repentance, 10. The Roe Effect (Scott, Stevens)


Christian Scott - tp, Matthew Stevens - g, Milton Fletcher - p, Kris Funn - b, Jamire Williams - dr


rec. 22.- 215.04.09
Universal/Concord 0888072314122; LC 15025

Es gibt Kunstwerke, die muß man vor ihrem Schöpfer in Schutz nehmen. Weil sie durch seine Einlassungen auf eine schiefe Ebene geraten. Man möchte nicht wissen, was er sich dabei gedacht hat, man möchte sie einfach nur bewerten, genießen, vielleicht auch bewundern und sich dabei nicht durch die aufgeblasenen Backen des Künstlers verstören lassen. Es sei, mit anderen Worten, bei dieser Gelegenheit wieder einmal an die Trennung von Künstler und Werk erinnert (die derzeit selbst von den avancierten Kadern der Literaturkritik mißachtet wird, „Fall Hegemann“).
Es gilt das Wort der ex-Bundestagsvizepräsidentin und - yes folks! - Kunsttheoretikerin Antje Vollmer („Die Wahrheit der Kunstwerke liegt nicht in der moralischen Identität ihrer Schöpfer, sondern in ihrer Kunst, Wirklichkeit zu verdichten. Ein Werk, das zu seiner Vervollkommnung das Leben des Autors als Ergänzung braucht, scheint nur halb gelungen“, taz, 06.02.93).
Wie das nun mal so ist bei instrumentaler Musik, steht Christian Scott hier, um Wirklichkeit zu verdichten, allenfalls die Plattform der Kompositionstitel zur Verfügung.
„K.K.P.D.“ z.B. steht für „Ku Klux Police Department“, „Jenacide“ für die „Jena Six, die sich zur Wehr setzten gegen weiße Rassisten“, und „American´t“ (übrigens ein schönes Wortspiel) soll, wie Scott in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt, „das hoffnungsloseste Stück“ dieses Albums sein. „Diese ganze Diskussion über Obamas Gesundheitspolitik hat mal wieder gezeigt, wie Habgier und Egoismus das Land regieren.“
Als Meinungsbekundung ist das auch für Mitteleuropäer nachvollziehbar - als Beschreibung musikalischen Inhaltes aber nicht. Ausgerechnet in „American´t“ fällt die Kunst der schleppenden Grooves, die dieses Album zu einem Erlebnis machen, fast in sich zusammen, ausgerechnet hier verliert die Trompete Halt.
Man mag von dem Titel „K.K.P.D.“ halten, was man will, das Stück gibt das ästhetische Thema dieser Produktion vor. Und das ist eine neuerliche Auseinandersetzung mit der heutigen Popmusik. „K.K.P.D.“ könnte man auch als „drum concerto“ bezeichnen, der Schlagzeugpart des exzellenten Jamire Williams ist ein einziges Aufbäumen gegen Gitarren-Akkorde, wie sie auch klangfarblich aus der Popmusik stammen. Nicht von ungefähr folgt sogleich ein Stück des Radiohead-Gitarristen Thom Yorke.
Das am weitesten von dieser Haltung entfernte, das mithin jazzigste aller Stücke, „After all“, das mit einem geschachtelten ostinato-Motiv vom Baß und schönen Hancock-Akkorden an den 60er Jahre Miles anschließt, mündet schließlich in ein regelrechtes drum-solo gegen riff crescendo. (Die rhythmische Faktur ist abgedreht: die Coda hat 3 Takte á 3/4 plus einen á 4/4, der Anfang steht in 9/4 - so hat der Komponist unsere Zählversuche kalibriert.)
Dabei nimmt der Komponist von „After all“, der Gitarrist Matthew Stevens, sein Instrument während der knapp 8 Minuten gar nicht zur Hand! Stevens kommt aus Kanada, fungiert als musical director von Christian Scott und orientiert sich weniger am single line Spiel des Jazz als vielmehr an den dreckig-metallenen Klangfarben des Pop.
Die Balance zwischen Piano und Gitarre ist delikat, es gelingt Milton Fletcher und Matthew Stevens eine völlig unproblematische Arbeisteilung. Bestes Beispiel die beiden aufeinander folgenden Balladen „Isadora“ und „Angola, LA & the 13th Amendment“: ersteres ein wunderbares rubato Changieren im „Kind of Blue“-Modus (ohne jedes Zitat), letzteres ein sich aufbäumendes, schleppendes Gebilde, in dem Scott seinen Haupteinfluß ausspielt, nämlich Freddie Hubbard und keineswegs Miles Davis.
Obwohl, dieses fünfte Album von Christian Scott hält nicht unbedingt die größten Komplimente für seine Qualitäten als Trompeter bereit, wohl aber für seine Begleiter. Es ist ein Ensemble-Werk, und - bitte festhalten - in Teilen durchaus ein Plädoyer für eine Pop/Jazz-Verbindung, die man sogar als Jazzrock bezeichnen kann.
„Yesterday you said Tomorrow“ hat weder Funk (wie die SZ insinuiert) noch Blues (obwohl Scott herumlärmt, er spiele nicht Jazz, sondern Blues) und nicht einen stilistischen Schnipsel der Stadt, aus der er kommt, New Orleans.

erstellt: 18.02.10

©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten