JOHN MCLAUGHLIN & CHICK COREA Five Peace Band ***** -(********)
CD 1
01. Raju (McLaughlin), 02. The Disguise (Corea), 03. New Blues, Old Bruise (McLaughlin), 04. Hymn to Andromeda (Corea)
CD 2
01.Dr Jackle (McLean), 02. Senor C.S. (McLaughlin), 03. In a silent Way/Ite´s about that Time (Zawinul, Miles Davis), 04. Someday my Prince will come (Churchill, Morey)
John McLaughlin - g, Chick Corea - keyb, Kenny Garrett - as, Christian McBride - b, bg; Vinnie Colaiuta - dr, Herbie Hancock - p (CD 2, 03)
rec. ?/2008
Universal/Concord 0888072313972
Vielleicht sollten wir uns angewöhnen, Unternehmungen wie dieses "Zins"-Projekte zu nennen: dabei treten Musiker mit großem Renommee in Erscheinung, aber ohne nennenswert neue Ideen; sie kapitalisieren den Ruf, der ihnen aus der Vergangenheit zusteht. Sie leben, auf gut Deutsch, von ihren Zinsen aus der Jazz-Historie.
Die dabei erzielten finanziellen Erlöse können wir nicht in Erfahrung bringen, wohl aber lassen sich diese ästhetischen "Zinsen" recht gut umreißen. Sie zeigen sich z.B. in jenem Lexikalismus, der solchen Projekten als gewaltige Vorfreude und Begleitmusik umgibt.
Wer großes in der Vergangenheit geleistet hat, so die Annahme, der wird dies auch in der Gegenwart tun. Ein geradezu schamloses Beispiel dafür bot sich mit der Return-To-Forever Reunion 2008; so viel Platz nahm des Schwelgen in der Vergangenheit der Protagonisten ein, dass kaum noch Raum blieb zum Hinhören, zur möglicherweise kritischen Prüfung, ob die Helden denn noch auf dem Stand ihrer ruhmreichen Vergangenheit sind.
Auch für dieses Projekt stimmt der Lexikalismus eine hübsche Melodie an; abgesehen davon, dass die beiden Bandleader selbst ordentlich Zunder geben, indem sie sich wechselweise mit Lob überschütten, vergißt kein Publizist zu erwähnen, dass Chick Corea und John McLaughlin seit einer Begegnung im Frühjahr 1969, im Studio zu "In a silent Way" von Miles Davis, sich zwar oft getroffen, aber nicht miteinander gespielt hätten.
Nur wenige erwähnen noch eine andere Gelegenheit, nämlich McLaughlin´s Album "Electric Guitarist" (1978), gar niemand verweist auf die "Universal Syncopations" von Miroslav Vitous (2003), wo beide erneut zusammentrafen.
Nun also haben sich die beiden "alten Hippies" (McLaughlin), vor vielen Jahren je Schöpfer des Jazzrock, zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens vereint, unter einem Titel eines Stückes aus dem letzten McLaughlin-Album ("Floating Point", 2007), das selbst gar nicht im Repertoire ist.
Wohl aber "Raju" aus demselben Album, in dessen Thema immer auch "Layla" von Eric Clapton mitzuklingen scheint, und dessen Improvisationsteile über eine Blues-Form laufen. Schon hier zeigt sich eine Verteilung der solistischen Qualitäten, die für das gesamte Doppelalbum gilt: von den - meist - drei Solisten ist Kenny Garrett der mit Abstand interessanteste: seine Improvisationen zeugen von Emphase und Dynamik, von langem Atem, von Klang- und Form-Bewußtsein. Garrett hat immer etwas zu sagen, die beiden anderen klimpern im Vergleich dazu herum (Corea mehr, McLaughlin weniger). Man fragt sich z.B., was von den fast 28 Minuten von "Hymn to Andromeda" (nomen es omen) bliebe, würde darin nicht für 11 Minuten Kenny Garrett Raum greifen. 11 Minuten! Das längste Solo der ganzen Produktion. Und keine Sekunde vergeudet, der Mann spielt - wie schon bei Miles Davis - seine legendären shouter-Qualitäten aus, führt das Stück in einen leicht arabischen Modus. Der absolute Höhepunkt von "Five Peace Band" liegt hier, nicht in dem kaum merklichen Gastbeitrag von Herbie Hancock ("In a silent Way...").
Allerdings muß man auch geschlagene 12 Minuten ausharren, ein Präludieren von Chick Corea sowie ein bemerkenswert schlecht gestrichenes Baß-Solo von Christian McBride weg-hören, bis die Combo für das Garrett-Solo regelrecht einen Vorhang aufzieht. Sie wissen, was sie an Kenny Garrett haben. Diese Passage allein verdient die Wertung (********).
Wie gesagt, diese Hierarchie zeigt sich in allen Stücken: Garrett´s Beitrag ist immer ergreifender und besser aufgebaut. McLaughlin kommt ihm in Jackie McLean´s "Dr Jackle" (einem Blues aus dem Jahres 1966) schon ein wenig näher, wenn er sein Solo über einen Rock-Rhythmus türmt, wohingegen Garrett wieder über einem swing nachfolgt. Diese Wechsel zwischen binär (Rock) und ternär (swing) funktionieren ganz zuverlässig, sie würzen die mitunter arg langen Darbietungen.
Sehr viel kompetenter als bei der RTF-Reunion dabei die Rhythmusgruppe; kurioserweise muß sie freilich gelegentlich andere Gewänder anlegen: Christian McBride in "Senor CS" in einen Tonfall a la Jaco Pastorius, der ihm gar nicht steht. Vinnie Colaiuta hat auch hier insofern seinen schwächsten Moment, als er in dieser uptempo Samba noch mehr klingt in Richtung Dennis Chambers. Das ist befremdlich und gänzlich unnötig (wie man seiner Performance bei Jeff Beck als Vergleich heranziehen darf).
Das Intro von "In a silent Way/Ite´s about that Time" zieht sich wieder als endloses Präludium dahin, jetzt unter Einschluß von Herbie Hancock, bis endlich nach 7 Minuten Vinnie Colaiuta mit den vertrauten rim shots das berühmte riff vorbereitet. Die Rhythmusgruppe, das muß man sagen, liefert exzellente Vorgaben, die von keinem Solisten so recht aufgegriffen werden - bis Kenny Garrett ein Erbarmen zeigt.
Dieser Mann bedeutet hier mehr als die halbe Miete. Leicht auszudenken, was von diesem Projekt ohne ihn bliebe - ein Treffen ausgebrannter Veteranen, die der Aufmerksamkeit nicht standhalten, die sie erzeugen.
©Michael Rüsenberg, 2009, Alle Rechte vorbehalten