MIKE STERN Who let the Cats out? *****

01. Tumble Home (Mike Stern), 02. KT, 03. Good Question, 04. Language, 05. We´re with you, 06. Leni goes shopping, 07. Roll with it, 08. Texas, 09. Who let the cats out?, 10. All you need, 11. Blue Runway

Mike Stern
- g, Jim Beard - keyb, Richard Bona - bg, voc; Anthony Jackson, Victor Wooten, Meshell Ndegeocello - bg, Chris Minh Doki - b, Bob Francescini, Bob Malach - ts, Dave Weckl, Kim Thompson, - dr, Roy Hargrove - tp, Gregoire Maret - harm

rec 01/2006
in-akustik/Heads Up HUCD 3115

Dies ist das 13. Album von Mike Stern. Wer sie alle besitzt (oder durchhört), von "Time in Place", 1987, bis zum jüngsten, der wird wenig Wandel bemerken. Auf seinen Alben, allesamt Studioalben, gibt sich der Mann, von dem zahlreiche, rauschhafte Konzerte bekannt sind, wie ein controller in eigenen Dingen. Es ist, als führe er, der sich live zu vergessen scheint, im Studio immer nur mit angezogener Handbremse.
Diese Differenz, auch von vielen anderen Künstlern vertraut, wäre noch zu verkraften, ginge sie nicht einher mit einer lähmenden Konstanz, fast einer Austauschbarkeit der Glieder dieser dreizehnteiligen Kette. Der Mann hat einen packenden Gitarrenton, vielfach kopiert, ein hochtouriges Amalgam aus Hendrix und Bebop - aber es schleift sich auch ab, wie er immer wieder erst einmal eine Pfundnote plaziert und sich dann immer weiter windet. Der grosse Rahmen dieser
Erzählung aus 6 Saiten legt den Eindruck nahe, immer wieder das gleiche Solo zu hören. Abweichungen erschliessen sich nur noch dem, der den dichten Vorhang des Vertrauten teilt, sich auf Details konzentiert - oder sich ganz einfach vorstellt, dies sei grosse Kunst. Grosses Handwerk ist es allemal.
Das
Quälendste aber ist die nun schon etliche Jahre überdauernde Armut der Form. Wer z.B. den Eröffnungstrack analysiert, "Tumbe Home", hat schon mehr als die halbe Miete zur Hand: ein Blues, mit binären und ternärem Groove. Binär, also auf Rock-Basis mit unverzerrtem Ton und schlankem Bebop-Ton im Thema, mit einem riff-Thema in der bridge, und dann ternär swingend im Improvisationsteil, den Stern gewöhnlich mit einem dynamisch wirkenden, verzerrten Rock-Ton abschliesst. Viel mehr passiert nicht, ausser dass er (bei Konzerten mehr) auf Standards zurückgreift; hier baut er sein eigenes "Good Question" auf die Harmonien von "I got rhythm" (die sogennannten rhythm changes) und "Leni goes shopping“ auf "I hear a Rhapsody".
In den letzten Jahren ist noch eine afrikan"sche Duftnote hinzugekommen, insbesondere wenn
Richard Bona singt bzw. säuselt.
Kollegen wie
Bill Frisell und John Scofield, ebenfalls Meister eines eigenen Gitarrenstiles, sind demgenüber Könige der Variation.
Warum, so muss man fragen, schreibt Mike Stern alles selbst? Warum öffnet er sich nicht anderer Expertise? (Seit Jahren steht im
Jim Beard zur Seite; der hat dieses Album auch produziert und ist ein exzellender Schreiber.)
Instrumentale Expertise, ja, die gibt es bei Mike Stern immer wieder. Neu im Team ist
Roy Hargrove mit einen paar Gastauftritten, Dave Weckl glänzt und auch die junge Schlagzeugerin Kim Thompson. Aber andererseits merkt man auch eine Tendenz zur De-Personalisierung: Anthony Jackson ist zum ersten Male seit 1991 wieder dabei, freilich in einer Rolle, die kaum den Genius dieses Musikers zu erkennen gibt.
"Who let the Cats out?" ist demnach, wie auf dem Cover suggeriert, wortwörtlich zu verstehen und nicht szene-sprachlich als "Wer erlaubt den Kollegen, die Sau rauszulassen?", denn dies erlaubt Sern nicht.
Wenn er bei seiner 13. Produktion überhaupt punktet, dann wegen des erstklassigen
Handwerks. Vor dem kann man noch immer den Hut ziehen.

erstellt: 23.08.06

©Michael Rüsenberg, 2006, Alle Rechte vorbehalten