MARC COPLAND Time within Time ********

1. Some other Time, C Major (Leonard Bernstein), 2. River´s Run (Marc Copland), 3. Pirouette, 4. Footprints (Wayne Shorter), 5. Some other Time, D flat Major (Leonard Bernstein), 6. Time was (Copland), 7. Round she goes, 8. Django (John Lewis), 9. Some other Time, G Major (Leonard Bernstein), 10. All Blues (Miles Davis), 11. You can´t go home again (Sebesky), 12. Some other Time, C Major (Leonard Bernstein)

Marc Copland - p

rec 28./29.7.2004

HarmoniaMundi/hatOLOGY 619; LC-Nr 6048

Wer eine Aufnahme von
Marc Copland erwirbt, erhält Zutritt zu einem Feinkostladen (meist jedenfalls, wenn Copland nicht gerade von Greg Osby oder Kenny Wheeler die Gewürze vertauschen lässt.)Bei Copland solo ist diese Gefahr ausgeschlossen, man wird Zeuge einer Feier des Augenblicks, einer jeden einzelnen Note - Delikatessen pur.
Eine so feinsinnige Performance zieht gern auch den Wortgeschmäckler an, beispielsweise Peter Rüedi von der
Weltwoche, der in der Weitläufigkeit des schönen Albumtitels schwelgt, von Shakespear bis Dylan Thomas - und in einer fragwürdigen Ableitung das ewige Rätsel swing meint gelöst zu haben, aber das Naheliegende keiner Erwähnung für wert befindet: warum Copland "Some other Time" von Leonard Bernstein viermal aufgenommen hat, noch dazu in verschiedenen Tonarten.
Wir haben Mr. Copland angemailt und den
Markwort gemacht (Fakten, Fakten, Fakten!). Also, am zweiten Aufnahmetag bat der Produzent Werner X. Uehlinger den Pianisten, ob er nicht - wie schon bei den Vorgängeralben "Haunted Heart" und "Marc Copland and..." - ein Stück mehrfach aufnehmen wolle. Die Wahl fiel auf "Some other Time", ein Erkennungsstück von Bill Evans, das Copland aber so un-Evansisch wie möglich spielen wollte. Die Originaltonart war ihm nicht präsent, wohl die der Fassung von Evans (C-Dur), und da keine Zeit mehr blieb, das Stück ausführlich zu durchdenken, experimentierte Marc Copland in "9 oder 10 Fassungen". Veröffentlichungswert befand man schliesslich vier; sie fungieren hier wie Kapitel-Überschriften.
Das hat was! "Some other Time" in Des-Dur beispielweise fungiert dank seiner Durchgangsakkorde wie ein verlängertes Intro für das am meisten impressionistische Stück dieses Albums, "Time was" von Copland selbst, einen dahingehauchten Walzer. Ein Schelm, der dabei nicht an
Debussy und Ravel denkt. "River´s Run", obgleich ein Blues (!), gehört in dieselbe Abteilung, ein Stück Afro-Amerika, das absolut "französisch" klingt.
Zu seiner wahren Bestimmung aber gelangt Marc Copland nicht als Komponist, sondern als
Interpret; ja, man ist fast geneigt zu sagen: je abgenagter der Knochen, desto mehr findet Copland an dem, was ein jeder schon kennt.
Steilvorlagen für ihn sind Stücke, in denen er 6/8 und 4/4 miteinander in vielfältige Beziehungen setzen kann. Zwei Paradestücke bietet er dafür, witzigerweise zwei Blues-Stücke, oder sagen wir besser Stücke in
Blues-Form: "Footprints", wo er parallel zum Thema Monk´s ãMisterioso“ laufen lässt (das hat er schon einmal so getan - und verneint, es handele sich um "Misteriso"; aber auch mit den Intentionen des Interpreten verselbständigt sich dieser Eindruck) und "All Blues", wo er Möglichkeiten findet, die 6/8 "mitzudenken", obwohl er sie gar nicht spielt. Wunderbar, wie er jeweils aus der Form herausfindet, bei "Footprints" mit einem minimalisistischen Schluss. Dann "Django", ein Musterbeispiel des rubato, des Dehnens und Stauchens von Zeit; ganz ähnlich "You can´t go home again" mit seiner gleichsam "gesprochenen" Melodie.
Es ist nicht nur die Anschlagskultur Coplands, die betört, dieser lyrische Ton, der in vielen Nuancen fliesst, ohne dynamisch auszugreifen, es sind auch die harmonischen Schattierungen, die dazwischen geschobenen Gedanken, die die geradezu klassische Reife & Eleganz dieser Interpretationen ausmachen..

erstellt: 04.07.05

©Michael Rüsenberg, 2005, Alle Rechte vorbehalten