HEINZ SAUER & MICHAEL WOLLNY Melancholia ******
1. ABC (Sauer), 2. Space Cake (Wollny), 3. Dry Icarus (Sauer, Wollny), 4. Crows On The Roof (Sauer), 5. Welcome To What You Think You Hear, 6. Blue Print (Wollny), 7. Deep River (trad, arr: Sauer), 8. Sculptor (Sauer, Wollny), 9. Out Of Diversity (Sauer), 10. Trouble With Mutation, 11. Dreaming Field(Sauer, Wollny), 12. Round Midnight (Monk), 13. Melancholia (Duke Ellington), 14. Deep Sea (Sauer, Wollny), 15. Seven Sharp, 16. Ursa Minor (Sauer), 17. Welcome To What You Hear, 18. Don´t Explain (Billie Holiday)
Heinz Sauer - ts, Michael Wollny - p, keyb
rec 11.+12.10.2004
ACT 9433-2; LC-Nr 07644
Kein Artikel, der nicht Verwunderung oder Klage Ausdruck gibt, dass Heinz Sauer, 73, nicht zu den ganz Grossen zählt; einer der wenigen Hymniker und shouter unter den deutschen Saxophonisten. Unser Hamburger Grossfeuilleton mochte sich in dem Vorschlag gefallen, in New York wäre der langjährige Frankfurter seinem wahren Ruhm nahegekommen.
Mag sein, dass er in Manhattan wirklich mehr reüssiert hätte als in Mainhattan, auch das Gegenteil kann mit ebensolcher Berechtigung angenommen werden. Es bleibt Eigentum der Mysterien der Geschichte, warum der Nebenspieler von Albert Mangelsdorff (1960-1978) nicht annähernd Karriere gemacht hat - ein Musiker, der bei Kennern zuverlässig "ja, der Heinz Sauer!" auslöst.
Was Sauer mit dem 26jährigen Michael Wollny anzufangen weiss (über dessen eigenes Trio "call it em“ die JNE nicht halb so amüsiert war wie viele Kollegen), dafür gibt es track 12 als Elchtest, "Round Midnight". Sauer startet solo mit einer Intervall-Kette, in denen die entscheidenden erkennbar mitverwoben sind. Es ist ein Feature für ihn, für dieses mit viel Luftbeimischung klingende Tenor, vibrato zum Schluss der Phrasen, die im Jazz "Lebenserfahrung" indizieren. Wollny folgt in der Mitte mit einem klugen Reigen von Durchgangsakkorden, bis Sauer wieder einsetzt, diesmal mit einer Dynamik, knapp unter dem Pegel des Schreiens, des shouting.
"Round Midnight" ist mit 5:30 der längste track dieses Albums, man könnte annehmen, dass den beiden noch mehr dazu einfiele - aber das widerspräche ganz offenkundig der Enscheidung zur Knappheit, die sich insbesondere zu Beginn des Albums in Stücken manifestiert, die kaum mehr sind Skizzen.
Dass nicht alles gesagt wird, was gesagt werden könnte, gehört zu den unterentwickelten Tugenden im Jazz. Aber hier schlägt diese Haltung auf Dauer eben doch auch zurück, weil die beiden sich kaum je erlauben, ihr Material mal richtig auszuloten. Es ist, als habe sich Heinz Sauer einen Limiter zugeschaltet, als müsse Expressivität besser nur angedeutet als wirklich mal ausgelebt werden.
Vielleicht ist das ja ein Problem seines Vortrages, dass er den shouter in sich immer wieder zu sehr kultiviert; dass er - bildlich gesprochen - zu sehr in der Alten Oper spielt denn in einem Jazzclub in den wee hours of the morning. Was Kenny Garrett kann, könnte er auch.
erstellt: 29.04.05
©Michael Rüsenberg, 2005, alle Rechte vorbehalten