HENRY KAISER & WADADA LEO SMITH Yo Miles! Sky Garden ***

CD 1: 1. It´s about that Time/Mask (Miles Davis), 2. Jabali, Part I., 3. Shinjuku (Wadada Leo Smith), 4. Great Expectations (Miles Davis), 5. Directions (Zawinul)
CD 2: 1. Sivad, Gemini Double Image, Little Church (Davis, Zawinul, Pascoal), 2. Miles Star (Leo Smith), 3. Who´s Targeted?, 4. Jabali, Part II (Miles Davis), 5. Willie Dixon (Leo Smith), 6. Cozy Pete (Coster, Kaiser, Keneally, Manring, Muir, Perazo, Smith)


Wadada Leo Smith
- tp, Henry Kaiser, Chris Muir, Mike Keneally, Dave Creamer - g, Michael Manring - bg, Steve Smith - dr, Tom Coster - keyb, Karl Perazo - perc, Greg Osby - as, John Tchicai - ss, ts, Zakir Hussain - tabla, perc, Rova Saxophone Quartet: Bruce Ackley, Steve Adams, Larry Ochs, Jon Raskin)

rec. ? 2003 (?)
Fenn Music Service/Cuneiform Records Rune 191/192

Aus gutem Grund haben viele, die berufen sein könnten, es bislang vermieden, sich des Original-Miles´, seiner Strukturen und seiner Klangfarben der klassischen
Jazzrock-Werke, anzunehmen. Der Aktionsradius ist schmal wie eine Strassenbahnschiene, die Absturzgefahr gross - so gross wie beim Vorhaben, Zappa mit Zappa-Mitteln nachstellen zu wollen.
Henry Kaiser und Wadada Leo Smith sind dieser Versuchung bereits einmal erlegen ("Yo Miles!")...und abgestürzt. Jetzt versuchen sie es erneut, und die deutsche Jazzkritik begrüsst sie dabei mit Hilfestellungen wie aus dem
Märchenbuch: "Kaiser und Smith haben ihre Band so aufgestellt, dass sie exakter und, pardon, professioneller klingt als das Davis-Ensemble der mittleren 70er Jahre", raunt etwa die Kölner Stadt-Revue.
Auf Deutsch, pardon für die Nachgeborenen,
übersetzt hiesse das, dass obige Rhythmusgruppe folgender überlegen sei: Michael Henderson - bg, Al Foster - dr, Mtume - cong, perc (Noch Fragen, Kienzle?)
Ein Mann wie
Steve Smith, dem es weder an Selbstbewusstsein noch an Kenntnis seiner Vorläufer aus der ersten Reihe mangelt, käme vor Lachen nicht in den Schlaf, würde ihm jemand diesen Satz ins Englische übertragen. Dass John Tchicai und - pardon, ja auch Greg Osby - in diesem Kontext gegen einen Sonny Fortune jener Jahre bestünden, stammt aus demselben Arsenal schlecht erzählter Witze.
Dabei kann man dem Unternehmen wenigstens doch das Bemühen um originelle
Ansätze nicht absprechen: es startet mit der nicht gerade seltenen, aber gut funktionierenden Idee, "It´s about that time" in einer Schwebe zwischen binären (Rock) und ternären (swing) Grooves zu halten. Der Auftakt der zweiten CD, nämlich die Akkorde von "Sivad" durch das Rova Saxophone Quartet vorhalten zu lassen und dann mit einem Rock-Break a la McLaughin dazwischenzufahren, hat auch was - auf dem Papier. Die Kölner Saxophon Mafia würde diese Aufgabe bei besserer Intonation zum Frühstück abhaken, ein Henry Kaiser hat seine Meriten - aber immer nur dann, wenn er von "time"-Spielen möglichst weit entfernt ist.
Damit wäre das
Grundproblem dieses zweiten "Yo Miles!"-Projektes angesprochen. Musiker aus der zweiten und dritten Reihe begeben sich mit falschem Schuhwerk in ein Gelände, das sie unterschätzen. Es reicht gerade mal, für eine Schrittlänge den Pfad zu verlassen. Am liebsten bleiben sie auf den ausgeschilderten Wegen. Die Art ihrer Fortbewegung dort aber ist nicht die von Menschen, die kräftig durchatmen und frei ausschreiten; sie hüsteln, frieren, stolpern einher. So schwach sind sie, dass ihnen nichts mehr bleibt, als die Gangart, die sie aus den Geschichtsbüchern kennen, einfach nachzuahmen.
Auf gut Deutsch: wer Miles Davis den
Groove bringen will, der muss viel früher aufstehen und ganz anders ausgerüstet sein. Henry Kaiser und Wadada Leo Smith können auf diesem Sektor - weil eh groove-fern - nur wenig verlieren, am meisten aber Steve Smith. Wer weiss, was der im Verein mit Scott Henderson und Victor Wooten in puncto Groove veranstaltet, ja selbst mit Vital Information, der kann dieses Projekt auch geographisch gut eintüten - als Vorortveranstaltung aus San Francisco, die in New York nie und nimmer Bestand hat.

©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten