MIGUEL ZENÓN Ceremonial *******
1. Leyenda (Silvio Rodriguez Dominguez), 2. Ceremonial, 3. Transfiguration, 4. Mega, 5. A reminder of us,
6. Morning Chant, 7. 440, 8. Ya (Zenon), 9. Great is thy Faithfulness (Chisholm, Runyan)
rec. 4./5.3.2003
in-akustik/Marsalis Music 11661-3308-2
Miguel Zenón stammt aus Santurce auf Puerto Rico, aus einem - wir ahnen es - Armenviertel. Ausweislich der liner notes ist sein familiärer Hintergrund ein *nicht-musikalischer*, gleichwohl habe er eine klassische Musikerziehung genossen, Jazz via Radio und Charlie Parker & Machito Orchestra entdeckt, in Berklee (Boston) und an der Manhattan School of Music studiert und mit einer Garde latein-amerikanischer Musiker gearbeitet, die den Latin Jazz neu definieren.
Die Vita können wir nicht überprüfen, aber dem Werturteil im letzten Satzteil wird ein jeder zustimmen, der dieses Album aufmerksam verfolgt hat: Miguel Zenón gehört in eine Liga mit Edward Simon, Danilo Perez und David Sanchez, an zwei Alben des letzteren hat er mitgewirkt - und von dort auch die Rhythmusgruppe mitgebracht.
Die Zenóns begnügen sich nicht mit den Zutaten des Latin Jazz, wie ihn viele mögen: messerscharfe Riffs, heisse Solisten obenauf, brodelnder Rhythmusteppich und Tempo auf Autopilot - fertig ist die Laube.
Nein, hier sind die Formen komplexer, die Einflüsse weitreichender, die Kompositionen haben mitunter Suiten-Charakter, Grooves und Tempi wechseln in einem Stück, die Harmonik ist avancierter (Zenón z.B. widmet *A Reminder of us* Debussy & Ravel), kurzum: diese Art Latin Jazz verrät am Anfang keineswegs, wie er zu schliessen gedenkt, vom Mittelparcous ganz zu schweigen.
Auf diesem, Miguel Zenóns zweitem Album, kulminiert dies in *Morning Chant*: das Stück läuft über binäre und ternäre (swing) Grooves, das Tempo wird stellenweise beschleunigt, und die formidable Rhytmusgruppe (der Sohn von NDR-Big Band-Chef Dieter Glawischnig und der jetzige Schlagzeuger von Pat Metheny) liefern ein jazzcity-Lieblingsvehikel - drum-solo gegen riff. Und wie sonst nur Edward Simon lassen sie diesen vamp - in der Latin World völlig unschulmässig - über 7/4 laufen.
Der deutsche Vertrieb von Marsalis Music (das ist das Label von Branford M., nicht von His Wyntoness) nennt Miguel Zenón einen *Jan Garbarek des Latin Jazz*. Das liesst sich ulkiger als es klingt, in der Tat mag der *süssliche*, auch hier nicht Latin-Standards folgende, wenig afro-amerikanische Ton von Zenóns Altsaxophon eine solche Assoziation erlauben, Charlie Mariano liegt nicht allzufern, Charlie Parker aber auch nicht.
So wenig Probleme man mit der Stil-Mischung von *Ceremonial* haben mag, die einzigen liegen in der Eloquenz von Miguel Zenón, die er noch nicht recht unter Kontrolle hat, er überspielt, macht mehr als nötig ist - aber, andererseits, vielleicht werden wir hier auch Zeugen eines neuen Stiles. Miguel Zenón ist ja erst 27!
©Michael Rüsenberg, 2004, Alle Rechte vorbehalten