DAVID BERKMAN QUARTET start here...finish there *******

1. Cells (Berkman), 2. Triceraatops, 3. Iraq, 4. Stone´s throw, 5. English as a second Language, 6. Penultimatum, 7. Only human, 8. Old Forks, 9. Quilt, 10. Mean Things happening in this world (Woody Guthrie)

David Berkman
- p, Dick Oats - ss, as; Ugonna Okekwo - b, Nasheet Waits - dr

rec 8./9.9.2003
SunnyMoon/Palmetto PM 2098

Die Plazierung von Berkman´s Vorgängeralbum "Leaving Home" auf etlichen "best of the year"-Listen geht paradoxerweise mit einer allgemeinen Unkenntnis dieses Musikers einher: David
Who?

Tja, der Mann hat wirklich schlagende credits nicht aufzuweisen.
Cleveland/Ohio hat er verlassen, um in Boston an der Berklee School of Music zu studieren, nachdem Jazz ihm mehr sagte als Poesie & Prosa, für die er freilich ausgezeichnet worden war. Berkman ist nach Cleveland zurückgekehrt und lebt seit 1985 in New York.

Er zählt eher zu den Stillen im Lande, will heissen: die grosse Pranke ist seine Sache nicht, er spielt laid back, cool; man müsste ihn glatt fragen, ob nicht auch Lennie Tristano zu seinen Einflussgrössen gehört.
Chick Corea wäre noch zu nennen, obgleich dessen Schatten allenfalls über manchen Themen liegt, in der Parallelführung von Piano und Sopransaxophon, weniger im Pianistischen selbst.

Der Auftakt zu "start here...finish there" ist glänzend gewählt und typisch für das Understatement des ganzen Projektes, eine anmutige Ballade, in der
Dick Oats ein 3-Ton-Motiv moduliert, "Cells"; in der Tat eine Stuktur, die sich um diese eine Zelle entfaltet und selbst da den Zusammenhalt nicht verliert, wo das Thema gar nicht mehr erklingt.

Es folgt ein artifizieller Blues, und in "Stone´s throw" ist die Erinnerung an Corea/Farrell in der Themenexposition von Piano und Sopransaxophon über einem
Bolero wahrlich nur einen Steinwurf entfernt. Mit "English as a second Language" erklingt das erste von zwei Solostücken Berkman´s, eine kurze Skizze nur, zum Schluss wird er im Gospel-Modus ein Folk-Schlachtross von Woody Guthrie aufgreifen ("Mean things...")

David Berkman hatte nie einen Mangel an guten Rhythmusgruppen. Jetzt hat Nasheet Waits den Platz von Brian Blade eingenommen, und dessen erster grosser Moment kommt in "Penultimatum", einer - naja - langsam sich steigernden Jazzrock-Nummer, in der das Phänomen des "gebrochenen swing" wundervoll seine binäre Entsprechung erfährt. Typisch, dass nicht nur der Solist (Dick Oats) sich exponiert, sondern in rotierender Interaktion das ganze Quartett mit ihm.

"Only human", nur im Trio, zeigt Verwandtschaft zu Balladen von Brad Mehldau, und "Old Forks" ist dezidiert den Kompositionen von Keith Jarrett aus den 70ern zugedacht, als der Grossmeister auch Sopransaxophon gespielt hat. Eine lange Themenexposition, Berkman verzichtet beinahe gänzlich auf begleitende Akkordunterstützung, bei 1:20 leitet er das Ensemble aus einer kleinen Phrase heraus in einen swing. Er wird aufgerieben, bis bis kurz vor dem Schlussthema nur noch Sopransaxophon und Drums über einem freien Puls stehenbleiben. Die Interaktion ist erstklassig; in einem Kunst-Stück, das Keith Jarrett meint, aber sich keineswegs auf dessen Pianostil beruft.


©Michael Rüsenberg, 2004, Nachdruck verboten