„You didn´t look like a drummer to me“.
Mit diesem Ausdruck des Erstaunens entschuldigte sich in den frühen sechzigern der Trad-Jazz-Star Acker Bilk bei seinem Aushilfsdrummer, er habe ihn im Bandbus auf der Hinfahrt zu einem gig nicht hinreichend beachtet.
Verwechslungen hinsichtlich seines Nachnamens waren dem Übergangenen mehr vertraut. Allein in seiner Klasse an der Isleworth Grammar School saßen neben ihm zwei weitere Marshalls. Und samstags nahm er Schlagzeug-Unterricht bei - Jim Marshall (yes folks, von Marshall Amps).
Später sollen ihn panische Anrufe erreicht haben, wie schnell er ins Studio XYZ eilen könne - man hatte den falschen John Marshall gebucht. Den Posaunisten.
Mitteleuropäischen Jazzfreunden dürften derlei Anekdoten fremd vorkommen. Für sie war John Marshall seit den späten sechzigern eine geradezu ikonografische Erscheinung: mit seinem Schnauzbart und ausgreifender Haartracht, damals „Papuabombe“ genannt (ein pflichtschuldiges pfui an dieser Stelle). Und in der Hauptsache als geschäftiger Drummer, der ab Nucleus “Elastic Rock“ (1970) und Soft Machine „Fifth“ (1971) den britischen Jazzrock angeschoben hat wie kein zweiter Kollege.
Soft Machine "Bundles", 1975
John Marshall, oben rechts
In einem sehr ausführlichen Interview schildert er 2019 die stilistische Volatilität jener Epoche:
„Ich war sehr anpassungsfähig, mochte vieles und konnte mit so gut wie jedem spielen, was fantastisch war. An einem Abend in der Trad Band von Acker Bilk, am nächsten mit John Surman in Ronnie's 'Old Place' und am übernächsten Abend begleitete ich eine Sängerin in dem neuen Club in der Frith Street. Ich habe sogar mit Indo-Jazz Fusions vor 250.000 Zuschauern auf dem Isle of Wight Festival 1970 im selben Programm wie Bob Dylan gespielt.“
Isle of Wight, möchte man ergänzen, da war auch Miles Davis; und in seiner Band ein Musiker mit verwandter Haarpracht, den nicht ganz unbekannte Afroamerikaner wie Quincy Jones und Ornette Coleman deshalb - und irrtümlich - für einen der ihren gehalten haben, Keith Jarrett.
Vor derlei Verwechslung, auch in stilistischer Hinsicht, war John Marshall gefeit. Bei Jack Bruce, bei Eberhard Weber Colours, lange bei John Surman, bei Hugh Hopper, Michael Gibbs oder auch Vassilis Tsabropoulos hat man ihn weniger in afroamerikanischer Expression erlebt, schon gar nicht funky, sondern als einen mächtigen, bisweilen auch lauten Jazzschlagzeuger mit großer Affinität zu Rock-Rhythmen.
Sein mit Abstand längstes Engagement, über fünf Jahrzehnte, mit Unterbrechungen, hatte er mit Soft Machine. Im Januar 2023 übergab er den Posten an Asaf Sirkis.
Am jüngsten Album „Other Doors" im Sommer 2022 hat er noch mitgewirkt. Er litt offenkundig an Osteoporose (Knochenschwund).
Soft Machine, 2022
John Marshall, links
John Stanley Marshall, geboren am 29. August 1942 in Isleworth/West-London, ist am 16. September 2023 zu Hause, in Süd-London, verstorben. Er wurde 82 Jahre alt.
erstellt: 17.09.23
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