Im Sommer sah ich ihn noch am Decksteiner Weiher; ein älterer Herr unbestimmten Alters, trotz der Hitze schwarz gekleidet, mit Jacket.
Im Vorbeijoggen erkannte ich ihn, warf grüßend die recht Hand in die Höh´. Als ich ihn beim nächsten Mal schon von weitem auf einer Bank sah, startete ich das „Hallo“ frühzeitig mit beiden Händen.
Zwischen 1974-80 wohnten wir Haus an Haus in Sülz; einmal sah ich ihn beim Verlassen des Hauses, einen Saxophonton habe ich von dort nie vernommen (warum auch sollte er in einer Mietwohnung üben?)
Er war der große Schweiger der Kölner Szene. Das berühmte Diktum, der Musiker XYZ drücke sich durch sein Horn aus, traf auf ihn in besonderem Maße zu.
Und es waren nicht nur in Köln etliche, die genau das hören wollten.
Er kam dorthin aus Siegen. Mit 14, 15 spielte er Altsaxophon in einer lokalen Big Band, irgendwann tourt eine professionelle Big Band durch die Stadt, er schließt sich an, zusammen mit seinem Bruder Ossi. Den Job als Bauzeichner hängt er an den Nagel und tingelt die zweite Hälfte der 50er durch die Lande.
Wohin und wann genau, ist schwer zu rekonstruieren; aber dem talentierten Nachwuchsmusiker (so jedenfalls geht es aus einem Gespräch mit Karsten Mützelfeldt hervor) präsentiert sich die junge Bundesrepublik keineswegs düster & muffig, wie immer die Rede davon ist.
Frankfurt, Hanau, Bad Kitzingen, Stuttgart, Jazzclubs der US-Soldaten, große Hotels, nicht nur Jazz, sondern viel, viel Tanzmusik, "die großen Hotels, die waren eigentlich fantastisch für damalige Zeiten, drei Monate in Garmisch im Sommer, das war wie der beste Urlaub".
Hamburg nicht zu vergessen; "ich habe noch Bilder (lacht) mit Oscar Pettiford, ich als 18-, 19-jähriger", im November 1958 sein erster NDR Jazzworkshop mit Pettiford, Kenny Clarke, Hans Koller, Attila Zoller.
Im Februar 1960 holt ihn Kurt Edelhagen in sein Orchester. 1964, die UDSSR-Tournee macht er noch mit; Leningrad zum Beispiel, Frühstück im großen Hotel, "am Nebentisch sitzt Marlene Dietrich!"
Obwohl der Saxophonsatz von Edelhagen "für mich eine unglaubliche Schule war", steigt er im selben Jahr aus; zu viele TV-Shows, zuviel Warterei.
Stilistisch (wenn wir in dieser Hinsicht dem damaligen Eindruck von Manfred Schoof folgen) gleicht er nicht nur Stan Getz, "man konnte keinen Unterschied feststellen, auch mit der gleichen Technik" (in Kisiedu, "European Echos: Jazz Experimentalism in Germany, 1950-1975", Diss, 2014).
Mitte des Jahrzehnts verlagert sich Dudeks stilistischer Schwerpunkt auf das Avantgarde-Dreieck Köln>Wuppertal>Frankfurt.
Als Startpunkt in der Domstadt schält sich der „Kintopp Saloon“ heraus, der Legende nach ein Gewusel aus Edelhagen-Musikern und Amateuren auf 42qm.
Schlippenbach, Liebezeit, Niebergall, Dudek, die späteren Mitglieder des Manfred Schoof Quintetts, aber auch des Globe Unity Orchestra, sie entledigen sich der Bestandteile der Jazztradition dort erfolgreicher als des verrotteten Kintopp-Klaviers - es soll auf Entsorgungsfahrt mit einem anderen Wagen zusammengestoßen sein.
1971 ist Dudek erneut in Frankfurt/Main, nun als Mitglied des Albert Mangelsdorff Quintetts. Es war eine Rückkehr, schon Ende der 50er hatte er beim damals noch nicht "amtierenden Posaunenweltmeister" dessen Saxophonisten Heinz Sauer gelegentlich vertreten.
Dort, so hebt ein Autor hervor, wirkt er am 24. März 1968 tatsächlich mit „bei der Erstaufführung von Peter Brötzmanns ´Machine Gun´“ - beim Deutschen Jazzfestival, vier Tage vor der Aufzeichnung des später legendären Albums in Bremen (dann ohne ihn).
Demselben Autor (Wolfram Knauer) verdanken wir den Hinweis auf das Namensspielerische Stück „Do dat Dudek“, das auf dem Joachim Kühn-Album „This Way out“ (1973) so abgeht, wie der Titel lautmalerisch verspricht: Ornette Coleman-artiges Thema, ein Coltrane´nesk flüssiges Tenor, ein motivischer Improvisator.
Das war sein Markenzeichen, ein technisch brillantes, glänzend angepasstes Tenor, das er - auch auf dem Sopran - beibehielt bei seiner langen, seltenen Doppelgleisigkeit: in der Avantgarde und im Modernen Mainstream, in dem man ihn in den letzten Jahren überwiegend antreffen konnte.
Kein Zufall, dass sein Tod von einem in Köln maßgeblichen Musiker auf diesem Sektor verkündet wurde,
vom Pianisten Martin Sasse.
Gerhard Rochus „Gerd“ Dudek, geboren am 28. September 1938 in Groß Döbbern bei Breslau, verstarb am 3. November 2022 in Köln, er wurde 84 Jahre alt.
Über sechs Jahrzehnte war er der Kölner Lyrikerin Ingeborg Drews (1938-2019) verbunden, zuletzt noch am 29. Juli 2022 spielte er anlässlich einer Lesung ihrer Gedichte, u.a. deren Lieblings-Song "Nature Boy" (ab 1:29:50).
Die Beerdigung fand am 23. November 2022 auf dem Hermelsbacher Friedhof in Siegen statt, gefolgt von einem Farewell Concert am 24. Januar 2023 im Stadtgarten Köln.
Am 11. Februar 2023 ein ausführlicher Nachruf in SWR 2.
Manuskript
Foto: Gerhard Richter (Gerd Dudek)
erstellt: 05.11.22 (ergänzt am 08.11.22 und 23.11.22)
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