Eine Zeitlang in den 70ern, aber eben doch nur einen Wimpernschlag in der Geschichte des Jazz, belieferten zwei E-Labels Kopf an Kopf von München aus den Rest unserer kleinen Welt mit Tonträgern aus deutschen Presswerken: ECM, gegründet 1969, Enja, gegründet 1971.
Spätestens Ende November 1975 war das Rennen gelaufen (wenn es denn entgegen dem Anschein je eines gewesen war), als nämlich dem einen in Form des „Köln Concert“ einen Dukatenesel aufzustellen gelungen war.
„My Favourite Songs - The Last Great Concert“ von Chet Baker firmierte zwar Enja-intern scherzhaft als „unser Köln Concert“, konnte aber weder historisch und schon gar nicht kommerziell im Vergleich bestehen. Das war 1988. Da hatten sich die beiden Enja-Gründer, Horst Weber (1934-2012) und Matthias Winckelmann, zwei Jahre zuvor getrennt und die weitere Betreuung der Künstler des inzwischen stattlichen Label-Kataloges per Los untereinander aufgeteilt.
Gestartet hatten sie ihr Unternehmen (neben den damals üblichen 20.000 DM, geborgt von Vater Winckelmann) mit dem szene-typischen Kapital aus Begeisterung und Engagement, als Fans.
Der European New Jazz stand zwar eingangs auf dem Türschild, und es fanden sich auch Namen wie Albert Mangelsdorff, Dusko Goykovich und Alexander von Schlippenbach unter den ersten Veröffentlichungen. Die Premiere des Labels aber fand mit Mal Waldron statt, dem damals in München lebenden US-Pianisten: „Black Glory“ (seltsamerweise über die gesamte A-Seite mit einem Stück namens „Sieg Haile“. Man würde den dezidierten Anti-Faschisten Weber gerne noch einmal darauf befragen.)
Dann kam und blieb für viele Jahre Dollar Brand/Abdullah Ibrahim. Es kamen Elvin Jones, Archie Shepp, Cecil Taylor, Eric Dolphy, Bennie Wallace (was für eine Aufregung 1978), der frühe John Scofield, der frühe Gary Thomas - Enja Records lief rund als schöner Gemischtwarenladen, ohne homogenes Klangbild, ohne optisches Corporate Design wie die lokale „Konkurrenz“.
In den 80ern schaute ein junger Mann namens Stefan Winter vorbei, lernte sein Handwerk bei Enja und zog dann mit besonders aufwändig gestyltem Katalog eigene Bahnen.
Those were the days. Weber zog sich mehr und mehr zurück, seinen Anteil führt seit 2001 Werner Aldinger fort. Später auch den von Winckelmann.
Der bleibt nicht nur als Produzent & Talentscout, sondern auch als Gastgeber in Erinnerung (kolportiert wird, dass letztere Rolle oft die Voraussetzung für erstere schuf).
Gerne auch als gefragter Interview-Partner, als einer, der dem Fragesteller den Eindruck vermittelte, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Unvergessen, wie er unsereins einmal die harte Auslese unter US-Jazzmusikern schilderte (von -Innen konnte noch kaum die Rede sein), gegenüber denen aus der deutschen Mittelschicht, die es ihnen erlaubt, die finale Berufsentscheidung lange hinauszuschieben…
Matthias Winckelmann, geboren am 7. April 1941 in Berlin, aufgewachsen in Frankfurt am Main, starb am 19. Juni 2022 in einer Münchner Klinik an den Folgen einer Operation. Er wurde 81 Jahre alt.
Foto: Ralf Dombrowski/enja
erstellt: 20.06.22
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