Allan Holdsworth, 1946-2017

Sein erster Beruf, kaum bekannt, setzte den physiologischen Rahmen für seinen zweiten: der ausgebildete Korbmacher konnte greifen wie kein zweiter - und er klang wie kein zweiter.

Scharen von Gitarristen, inklusive John McLaughlin und Frank Zappa, haben bewundernd gerätselt, wie er das macht, was er da macht. 

Uns gegenüber, in den 80ern, in Kingston/Surrey, südlich von London, hat er zum Spaß mal die linke Spielhand ausgespreizt: Voraussetzung für all die verminderten, übermäßigen und sonstwie gitarren-fremden Akkorde, die irrwitzigen Linien, kurz: den komplexen Klangball, der früh sein Markenzeichen wurde.

holdsworthDas Diktum von Robben Ford, er sei der John Coltrane der Gitarre gewesen, kann als erste Annäherung so falsch nicht sein (bis irgendein Doktorand aus der Tiefe des Raumes kommt und sie widerlegt).

Beide schießen die Töne legato in hohen Tempi heraus, in „sheets of sound“, wie sie Coltrane attestiert wurden; Tonballungen, denen man gerade noch heraushören kann, dass die einzelnen Bestandteile sauber artikuliert werden.

Dazu passt, dass er früh schon Coltrane als Vorbild nannte - obgleich er niemals dessen Instrument spielte (was sich die Familie aus Kostengründen nicht leisten konnte).

Im Gegensatz zu Coltrane aber hat sich Allan Holdsworth lange gar nicht als Jazzmusiker verstanden, er wollte als „as good as“ bewertet werden: als ebenso gut wie ein Jazzmusiker.
Er war sich seiner Sonderstellung bewusst, er hat sie kultiviert, mit immensem Training. Sie hat ihn andererseits von bread & butter jobs ausgeschlossen; Holdsworth war, weil er keine Noten lesen konnte, in den Studios nicht zu gebrauchen.

Als er von Bradford, seiner Heimatstadt in Yorkshire, Anfang der 70er nach London kam, wurde er als Künstler, nicht als Funktionsträger gebucht, zunächst von Jon Hiseman („Tempest“), von Ian Carr („Belladonna“), von Soft Machine, von Bruford, aber auch John Stevens.

 Ein erster Ausflug nach Amerika, Tony Williams New Lifetime (insbesondere „Believe it“, 1975), musikalisch nur teilweise beeindruckend, endete - karrieretechnisch - in einer Sackgasse. Die zweite Hälfte der Dekade verbrachte er wieder daheim, in England, mit den Spitzen des ProgRock, mit Bruford, mit UK und Gong.

Ein erstes eigenes Album, „Velvet Darkness“, 1978, auf dem Jazz-Traditionslabel CTI, hätte er am liebsten a la Keith Jarrett behandelt: in die Tonne getreten. Hier, wie auch später, zeigte sich ein anderer Charakterzug, der des Zauderers, des notorisch mit der eigenen Leistung Unzufriedenen.

Mochte die Entourage sich vor Vergnügen biegen - der Urheber kam zu einem anderen Urteil, er bat z.B. den WDR, das gerade mitgeschnittene Konzert bitte nicht zu senden.

1982, nachdem es drei Jahre zuvor produziert worden war, kam dann das erste eigene Album heraus, „das zählt“: I.O.U. mit dem gerade entdeckten Meistertrommler Gary Husband.

I.O.U. wie auch die nachfolgenden, darunter „Atavachron“ 1986, erneut mit Tony Williams, lassen sich nicht umstandslos dem Jazzrock zuordnen, es waren typische „as good as“-Projekte eines eigenen Stilisten.

Kaum nachzuzeichnen an dieser Stelle die Vorzüge, Nachteile, die technischen und markenrechtlichen Probleme, die der Einsatz seiner Art des Gitarren-Synthesizers, des Synthaxe, verursachte. Wenn ihm Pathos, Schwulst und Abkehr von der „reinen Lehre“ vorgeworfen wurden, dann meist im Zusammenhang mit diesem technischen Wunderding (für das er beinahe sogar die Gitarre an den Nagel gehängt hätte).

2000 gelang ihm noch einmal ein großer Wurf mit „The Sixteen Men of Tain“, einem sehr jazz-nahen Album, dem letzten, das er in seinem eigenen Studio „The Brewery“ in San Diego aufgenommen hat.
Nomen est omen, Holdsworth hatte eine Schwäche für den Gerstensaft, aber auch Kennerschaft: er braute ihn selber, von ihm ist auch ein Bier-Zapfsystem patentiert.

Zwölf Studioalben (plus einige wenige Live-Alben) in einer so langen Karriere, das sind erstaunlich wenige Zeugnisse für einen Künstler dieses Formates und Einflusses. Sie sind auch Ausdruck der inneren Zerrissenheit eines Musiker, über die man vielleicht in einer Biografie mehr erfahren wird.
holdsworth toechterZuletzt ist er am 10. April 2017 aufgetreten, Tage zuvor wurde eine umfangreiche Box veröffentlicht, Archivmaterial, nichts Neues.
Ihren Titel ("The Man Who Changed Guitar Forever!: The Allan Holdsworth Album Collection") wird man jetzt kaum noch für Großmannssucht halten.
Allan Holdsworth, geboren am 6. August 1946 in Bradford, wurde am 16. April 2017 von einer Mitbewohnerin seiner Wohnung in

Vista/Kalifornien tot aufgefunden.
Er wurde 70 Jahre alt.

Seine Töchter baten um Spenden für die Beerdigung. Die Kampagne wurde vorzeitig eingestellt; das Ziel, 20.000 $, war binnen 3 Stunden erreicht. Inzwischen sind 114.000 $ von über 2.800 Spendern eingegangen, unter ihnen Holdsworth´ Nachfolger bei Soft Machine, John Etheridge, und der deutsche Saxophonist Axel Knappmeyer.
PS: Der Tod von Allan Holdsworth ist in geradezu exklusivem Ausmaß am deutschen Großfeuilleton vorüber gegangen.
Hatte es Larry Coryell noch zu einem Helden der Vielfalt verklärt, blieb es in diesem Fall stumm.
Man weiß nicht recht, ob aus Dummheit, Platzmangel oder Schlamperei ein Unikat der Gitarrenwelt überhört wurd
e.

erstellt: 17.04.17/21.04.2017
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