JÜRGEN FRIEDRICH Monosuite for String Orchestra and Improvisers *********
01. Waves (Friedrich), 02. Breaks, 03. Fiddlesticks, 04. Blossom, 05. Low Tide, 06. Loops, 07. Ritual, 08. Chacaglia, 09. Weave
Jürgen Friedrich - cond, Hayden Chisholm - as, Achim Kaufmann - p, John Hébert - b, John Hollenbeck - dr
Gerdur Gunnarsdottir, Constanze Sannemüller, Elias Schödel, Adrian Bleyer, Kira Kohlmann, Christine Rox - 1st v
Irmgard Zavelberg, Mirjam Steymans, Alwin Moser, Naomi Binder, Adi Czeiger - 2nd v
Marla Hansen, Pauline Moser, Yodfat Miron, Andrea Sanz-Vela, Valentin Alexandru - vl
Ulrike Zavelberg, Teemu Myöhänen, Nil Kocamangil, Marnix Möhring - vc
Axel Ruge, Matan Gurevitz - b
rec. 22.24.06.2011
Pirouet PIT3064 LC-Nr 12741
Jürgen Friedrich ist der Begabtesten einer aus der an Begabungen gerade im Moment wieder reich gesegneten Kölner Szene. Er stammt, wie ein anderer Hochbegabter, Nils Wogram, aus ... Braunschweig. Auch Friedrich ist „root 70“, mit Geburtsjahr 1970 aber zwei Jahre älter als Wogram.
Friedrich betreibt ein formidables Trio mit John Hébert und Tony Moreno, schreibt für das Cologne Contemporary Jazz Orchestra, gewann 1997 als erster Europäer den amerikanischen Gil Evans Award For Jazz Composition und hat seit seit 2006 eine Professur an der Musikhochschule Mannheim.
Insoweit eine deutsche Jazz-Karriere, wie sie derzeit, inbesondere im Hinblick auf die akademische Lehrtätigkeit, auf zwei Dutzend deutsche Jazzmusiker zutrifft.
Nicht jeder unter diesen aber hat sich mit einem solchen Konzeptalbum empfohlen wie Jürgen Friedrich hier mit „Monosuite“. Es setzt ihn als Komponist und Arrangeur endgültig auf die deutsche Jazz-Landkarte (witzigerweise rührt der Pianist Friedrich hier sein Instrument nicht an, sondern lässt sich von Pirouet-Stablemate Achim Kaufmann vertreten).
Wie der Titel schon nahelegt, führt es mitten hinein in den Thirdstream, jene mitunter auch ölig-trüben Gewässer am Zusammenfluß aus Jazz und „Klassik“, in denen Jazzmusikern ihre nur ungenügend verdauten Bildungskomplexe entsorgt haben.
Friedrich sorgt hier für eine geradezu heitere Note, in dem er nicht an der Strenge und Ödnis der Zweiten Wiener Schule andockt, sondern an der Minimal Music. Und dort nicht am Formel-Schematismus eines Philip Glass oder Steve Reich, sondern an deren Schnittstelle zum Narrativen, ja Filmmusikalischen - bei John Adams („Nixon in China“).
Als weitere Impulsgeber nennt Friedrich den Komponisten Olivier Messiaen, aus der Bildenden Kunst Mark Rothko mit seinen „color field paintings“ und fügt gar den Meister-Surfer Laird Hamilton an. Die Gemeinsamkeit zu letzterem erscheint freilich arg bemüht: „Hamilton schafft es“, so werden Journalisten vom Pirouet Label aufgeklärt, „etwas extrem Schwieriges ganz leicht aussehen zu lassen; und Friedrichs Musik klingt einfach, ist es aber letzten Endes nicht.“
Den vollen Adams-Einfluss lässt Jürgen Friedrich erst im 6. Track, in „Loops“, aufblühen, dem Hochplateau dieses Unternehmens, was die Vermischung und Konfrontation von Streichern und Improvisierern angeht.
Schon die kurze Overtüre „Waves“ lässt die lichte Welt von John Adams erkennen. Dieses kurze Stück wird allein von den Streichern gespielt, zusammengestellt von Gerdur Gunnardsdottir mit MusikerInnen aus Köln und Berlin. Danach beleuchtet Friedrich peu a peu die verschiedenen Baukästen seiner Arbeit, um schließlich alle Bestandteile in „loops“ auszufahren.
Nach der vollen Streicherkadenz von „Waves“, taucht in track 2, fast möchte man sagen: wie ein scheues Reh auf der Lichtung das unvergleichliche Altsaxophon von Hayden Chisholm auf, mit seinem flötenhaften Ton, unterlegt von einem einzelnen Streicher-Bordun, kontrastiert von wunderbaren, dunklen Streicher-breaks. Chisholm hat man in vielen, vielen Umgebungen schon gehört: für seine Parts hier hat er nicht nur Lob, sondern geradezu Jubel verdient.
Track 3, „Fiddlesticks“, entfaltet zum ersten Mal so etwas wie Groove, in Gestalt von orientalisierten Streichern über Perkussion, plus zum ersten Mal Piano. Track 4, „Blossom“ entlässt sowohl Streicher als auch Jazzmusiker in „freiere“ Gefilde, und zwar getrennt voneinander. Track 5, „Low Tide“ wirkt wie eine Sammlung vor dem großen Aufstieg auf den Gipfel; erste minimal patterns erklingen, ein walking bass, Piano-Pointilismen.
Die Ankunft auf dem Gipfel, „Loops“, geschieht unmerklich. Eine einzelne Violine gibt die Echos vor, in die später alle anderen Streicher einfallen. Es folgt ein absolut süffiges, dunkles Streicher-Thema - und dann könnte der Kontrast schöner nicht sein zu der gebrochenen jazz time, die sich dann entfaltet. Was für eine Combo! Hayden Chisholm leuchtet gegen die Streicher-Interventionen, nämliches gilt für Achim Kaufmann. Nicht zu vergessen die Rhythmsugruppe.
Was man manchmal an solchen Projekten bemängelt, nämlich die kastrierten Jazzwerte - hier blühen sie, wie Kaufmann von time to no time führt, das ist absolut amtlich!
Gut 3-Minuten-Baß-Intro für „Ritual“; nun gut, wer einen solchen Bassisten wie John Hébert hat, der muss ihn auch ausführen, dramaturgisch fällt es aus dem Rahmen. Hébert steuert seinen Baß in einen leichten Afro-Groove, witzigerweise in 7/4, die Streicher verharren im piccicato, Chisholm flötet sein Alt oben drüber.
„Chacaglia“ wird gleichfalls von einem Solo eröffnet, von einer vielstimmig erscheinenden Perkussion und wird aufgesogen von tiefen Streichern, über die schließlich Achim Kaufmann ein Piano-Solo entfaltet, auch hier wieder in wunderbar flexibler jazz time.
Das Projekt schließt mit einem zweiten Hochplateau: ein rhythmischer Puls wird durch die Streicher geführt, bis hinunter in die beiden Bässe. Oh ja, das rockt. Piano und drums kommen dazu - seit Heiner Goebbels´ „Surrogate Cities“ (1996) hat kein deutscher Jazz-Komponist mehr die tiefen Steicher-piccicati so pulsieren lassen.
erstellt: 15.06.12
©Michael Rüsenberg, 2012. Alle Rechte vorbehalten