BORDERLANDS TRIO Asteroidea *******
01. Borderlands (McPherson, Kris Davis, Crump), 02. Carnaval Hill, 03. Flockwork, 04. Ochre, 05. Body Waves, 06. From Polliwogs
Kris Davis - p, Stephan Crump - b, Eric McPherson - dr
rec. 18.12.2016
Intakt CD 295/2017
Es gibt Jazzmusikerinnen, die wollen am wenigsten als JazzmusikerInnen angesprochen sein. Sie sind in ihrem Vortrag, ihrer ästhetischer Kompetenz, ihrer künstlerische Präsenz so überwältigend, dass sich partout kein gender-Aspekt aufdrängen will, von der ominösen Marginalisierung ganz zu schweigen.
Wer wollte auch (mit welchen Gründen und mit welchen Mitteln?) solches Talent kleinhalten?
Kris Davis gehört in diese Reihe, sicher auch Kaja Draksler und in der Vergangenheit Geri Allen (auch noch posthum, wie jüngst eine Tagung an der Harvard University zeigt).
Alle drei sind Stilisten (oder sollte es hier Stilistinnen heissen müssen?), selbstverständlich auf sehr diverse Art.
Was sie eint, in wiederum unterschiedlicher Temperatur, ist eine Nähe zu repetitiven Formen, zur Wiederholung. Bei Geri Allen war dies das Afrikanische, sie hat den Jazz-Kanon der Grooves erheblich erweitert.
In den Fällen der beiden weißen Pianistinnen liegt der Groove-Begriff ferner, obwohl ihre Botschaft „rhythm is it!“ kaum weniger eindringlich lautet.
Ihre Repetitionen sind eher minimalistischer Art.
So beginnt Kris Davis dieses Album mit einer rasenden 7-Töne-Figur, staccato und im tiefen Register. Sie startet jeweils auf einer starken „1“, niemand käme deshalb auf die Idee, diese als „Groove“ auszugeben - selbst als die andere Spielhand mit einem noch stärkeren Einsatz den Akzent verschiebt, mithin ein offbeat entsteht.
Nach knapp 3 Minuten wird die Pianospur weggeblendet und die Rhythmusgruppe übernimmt mit einem federleichten, ja … Groove. Crumb & McPherson lassen durchblicken, dass sie hier nach allen Regeln der Kunst einen walking bass auseinandernehmen; die Tempi schwanken, es wandeln sich die Formen - eine wahre Delikatesse zuzuhören.
Und Kris Davis verstreut darüber allei Tropfen-Töne vom präparierten Piano, man weiß nie, in welchem Register, in welcher Form der nächste. Die Rhythmusgruppe geht darauf ein und umgekehrt.
Es entfaltet sich eine Post FreeJazz Suite, ein Netz aus sich verknüpfenden patterns, ohne Leitmotiv, die Musik folgt immer neuen Verzweigungen.
Niemand käme wohl auf den Gedanken, diesen Prozeß nicht als „frei improvisiert“ zu bezeichnen - freilich ohne einen einzigen Moment des Leerlaufes oder der akustischen Schocktherapie, die sich gerne mit diesem schmückenden Etikett tarnen.
Dafür spielen Kris Davis, Stephan Crumb und Eric McPherson, pardon, einfach viel zu elegant.
Gegen 14:30 pausiert die Rhythmusgruppe und Frau Davis holt in abgewandelter Form ihr Anfangs-Muster wieder hervor. McPherson steigt mit einer snare-Figur darauf ein, Crumb streicht darüber. Um 17:50 bleibt über: ein drum-solo. Sehr filigran, im gleichen Flacker-Rythmus zunächst.
Produziert wurde in einem Studio namens The Samurai Hotel in Queens, NY. Der Toningenieur (oder später beim Mischen Stephan Crumb) legt einen dezenten Hall auf den Rand der snare, die rimshots von Eric McPherson klingen wunderbar.
Gegen 20:20 kehren Piano und Kontrabass zurück - und nichts ist mehr wie zuvor. Der Zauber ist verflogen, Mrs Davis fällt an einer Stelle in einen Klavierstimmer-Modus und findet kaum heraus. Sie wird, was sie vorher nicht war, voraushörbar. Die letzten 6 Minuten von „Borderlands“ (aus 26:32 insgesamt) hätte man auch schneiden können.
Das Folgestück,“Carnaval Hill“, ist ein sehr kurzes FreeJazz-Intermezzo.
Aber „Flockwork“ lässt wieder aufhorchen.
Das präparierte Piano duelliert sich mit McPherson´s snare. Die Rhythmusgruppe schliddert in ein Muster, das vor Jahren in diesen Kreisen streng verpönt war:
es ist nicht verboten, dabei an Miles Davis´ „Bitches Brew“ zu denken (oder an Don Grolnick´s „Nothing Personal“, so wie Crumb die Noten punktiert). Kris Davis hämmert Motive wie ein Specht darüber, die von irgendwoher, aber nicht aus dem Piano zu stammen scheinen.
Vogelstimmen-Assoziationen dann aus dem oberen Register des Pianos im Schlussstück „From Polliwogs“, eingerahmt von einem grundierenden Kontrabass und drums, von denen lediglich die snare wieder höchst effektiv verhallt ist. Langsam, wie sie nun mal ist, äußert sich eine Kaulquappe (polliwog) hernach auch noch in gravitätischer Melodik.
Selten war FreeJazz so nah bei den Viechern - und so unterhaltsam.
PS: Auch der Albumtitel stammt aus der Fauna. „Asteroidea“ ist der Seestern, der laut liner notes von Jim McNie „Teile von sich selbst erneuern kann, wenn notwendig“.
Es folgen dann, wie erwartet, die naheliegenden Analogien zur Musik des Borderlands Trios („steadily develop new landscapes“, „always exanding and contracting“, „recontextualizing what´s around us“ und dergleichen mehr…).
Wer sich bei Wikipedia schlau macht, erfährt sehr schnell die Grenzen solcher Poesie.
erstellt: 26.02.18
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