ELLIOT GALVIN The influencing Machine *******

01. New Model Army (Galvin), 02. La Machine, 03. Red and yellow, 04. Society of universal Harmony, 05. Planet Ping Pong, 06. Monster Mind, 07. Bikini Island, 08. Bees, Dogs and Flies, 09. Boys Club, 10. Fontainhead



Elliot Galvin - p, keyb, toys, Tom McCredie - b, g, Corrie Dick - dr, per

rec. 28.-30.05.17

Edition EDN 1103

Elliot Galvin als „verspielt“ zu bezeichnen, hieße, bei Toys „R“ Us vom Anblick einer Barbie überrascht zu sein.
Der abweichende, der skurrile Gedanke war immer schon Teil seiner Performance; es ist darum nicht gar so abwegig, wie John Fordham im Guardian es tut, Galvin mit dem jungen Django Bates zu vergleichen.
Nun müsste man selbstverständlich genau überprüfen, was Django z.B. im Alter von 27 Jahren (so jung ist Elliot jetzt) getrieben hat: da war er bei den Loose Tubes und zugleich Mitglied von Bill Bruford´s Earthworks - einem solchen Status hat der jüngere heute wenig entgegenzusetzen.
Aber Fordham schwebt sicher nicht Identität der Künstler vor, sondern Verwandtschaften, sozusagen grob gemittelt. Und da ist was dran. Beide Pianisten unterlaufen Erwartungen.
Dieses, das dritte Album vom Galvin Trio, beginnt schon mal sehr unüblich: mit einer wenig jazzigen Pianofigur, begleitet von einem sirrenden, hohen Bordunklang, bevor sie sich in Riff-Wiederholungen verliert und im zweiten Teil als keyboard-loop wiederkehrt.
Da erst, ab 2:41, setzt ein Beat ein.
cover Galvin The Influencing MachineDiese Piano-Ästhetik wird einem in track 4, „Society of universal Harmony“, noch deutlicher wiederbegegnen. Und da wird sie einem, zumindest unsereins, als Referenz auffallen: das verhallte, vorsichtige Piano, nun untermalt von einem tiefen Bordun, gestrichen auf dem Kontrabass, das kennen wir doch.
Das kennen wir doch … aus den Filmmusiken von Thomas Newman, z.B. aus „American Beauty“ oder „Zeiten des Aufruhrs“.
Kurze Anfrage bei Elliot Galvin, ob er Newman möge?
Er mag!
„I really like the film music of Thomas Newman, and that was an inspiration in part or the sound of that particular track. In particular the score he did for the film Road To Perdition“.

Pianofiguren a la Thomas Newman sind denkbar weit vom Jazz entfernt; es sind atmosphärisch dichte Miniaturen, die Gewicht auf jeden einzelnen Ton legen.
Das nächste dejavú folgt sogleich, „Planet Ping Pong“: Tom McCredie beginnt mit Gitarrenfiguren, wie man sie aus dem west-afrikanischen HiLife kennt, umgarnt von von allerlei Spielzeug-Sounds, wie sie beinahe jedes Stück dieser Produktion durchwuseln.
Spätestens wenn nach einer knappen Minute das Piano staccato einsetzt, kurz darauf mit einer reichlich verzierten Melodie und dazu die bassdrum - sind alle afrikanischen Assoziationen rasch verflogen.
Nun gut, Afro 6/8 lassen sich weiterhin durchzählen, aber obendrüber entwickeln sich peu a peu Polyrhythmik und vor allem Polyphonie (!), die sich dazwischen drängende E-Gitarre tut ein übriges.
Die älteren Semester wissen genau, wo sie diese abgefahrene Spieluhren-Ästhetik zum ersten Mal gehört haben: in den 70ern, bei Gentle Giant.
Erneute Anfrage bei Elliot Galvin, kennt er Gentle Giant?
Nein, kennt er nicht; er, der von seiner Mutter schon als Kind europäischer Neutönerei ausgesetzt wurde. Er bedankt sich für den Tipp, einen YouTube-Link, und will sich drum kümmern.
(Erneut lernen wir: musikalische Assoziationen sind etwas sehr Privates. Verwandtschaften, die der Hörer entdeckt, müssen sich nicht zwangsläufig mit Intentionen von Komponisten decken. Ähnliches geschah vor ein paar Jahren, als wir bei Kit Downes meinten, Elemente von Hatfield & The North entdeckt zu haben.
Hatfield & The North? Nie gehört.)
„The influencing Machine“, der Titel dieses Albums wäre missverstanden als Benennung obiger Referenzen (zu denen man noch die Beatles anführen könnte in „Red and Yellow). Galvin bezieht sich vielmehr auf das gleichnamige Buch von Mike Jay, worin jener das Leben von James Tilly-Matthews schildert, geboren 1770, ein Doppelagent in der Französischen Revolution. Tilly-Mathews habe unter der Illusion gelebt, er sei von einer Maschine kontrolliert.
Nun denn, man mag, wenn man so jung ist wie Elliot Galvin, „frappierende Parallelen“ zu unserer Gegenwart darin sehen. Sie sind noch luftiger und noch schwerer zu widerlegen als unsere klanglich-strukturellen Assoziationen - für den Musikvollzug notwendig sind sie nicht.
Man kann sie vielmehr (wie es Galvin auch tut) als Beigaben zum üblichen outfit eines Jazz-Piano-Trios sehen, als da sind analoge Synthesizer, Hammond Orgel, umfunktionierte Spielzeuge aus Wohlfahrtsshops. Und nicht zuletzt die elektrische Gitarre, die Tom McCredie mehrfach effektvoll einsetzt.
Um es noch einmal zu wiederholen: das Klangspektrum dieser Band übersteigt das eines reinen Piano-Trios um ein Vielfaches. Und manchmal übernimmt das Galvin Trio Strukturen von außen ohne die damit sonst verbundenen Klänge.
„Monster Mind“ z.B. gehorcht der Ästhetik schneller Schnitte wie im Techno, ohne im geringsten technoid zu klingen. Das Stück basiert auf einem staccato vamp im schnellen 3/4-Takt; mal türmen sich für wenige Takte mehrere Spuren darüber, mal bleibt nur der stoische Kontrabass über.
„Bees, Dogs and Flies“ wiederum würde die überlebenden Mitglieder von Gentle Giant erfreuen, weil Galvin - wie sie damals - Melodik aus der Renaissance aufgreift, freilich auf einem präparierten Piano und mit downtempo-Effekten auf dem Schlagzeug, woran in den 70ern (noch) nicht zu denken war.
Der Schlusstrack „Boys club“ wirkt, als habe man - wie einst die Marx Brothers im Warenhaus - das Galvin Trio über Nacht bei Toys „R“ Us eingeschlossen. Das ist wiederum sehr britischer Jazzrock mit allerlei drum´n´bass-Injektionen.
Die drei haben mehr darauf als alle, die heute den endverbraucher-affinen Kinderjazz spielen. Aber irgendwann, wünschte man sich, wär´s auch mal gut, Schluss mit Lustig.
Mit anderen Worten, man würde das Elliot Galvin Trio gerne mal an einem Standard sich abarbeiten hören.

erstellt: 11.01.18
©Michael Rüsenberg, 2018. Alle Rechte vorbehalten