AARON GOLDBERG The Now ******
01. Trocando em Miudos (Buarque), 02. Yoyo (trad), 03. The Wind in the Night (Aaron Goldberg), 04. E-Land, 05. Perhaps (Charlie Parker), 06. Triste Baia da Guanabara (Cascao, Novelli), 07. Background Music (Warne Marsh), 08. Francisca (Toninho Horta), 09. One´s a crowd (Goldberg), 10. One Life
Aaron Goldberg - p, Reuben Rogers - b, Eric Harland - dr, Kurt Rosenwinkel - g (10)
rec. 04/14, 01/2009 (4,6,9)
Sunnyside SSc 1402
Diese Produktion führt in die zweite Reihe des amerikanischen Jazz.
Nicht, dass wir dort nicht auch Bandleader fänden, bis auf Reuben Rogers haben alle in diesem Trio/Quartett auch früher schon eigene Produktionen veröffentlicht.
Aber, keiner der Beteiligten kann als Stil-bildend gelten, hat vielleicht gar eine „Schule“ gegründet - alle drei treffen wir überwiegend als Sideman, vorzugsweise im Umkreis von Joshua Redman.
Nicht zuletzt, die zweite US-Reihe ist randvoll mit Talenten und handwerklichen Begabungen, auf die die meisten europäischen Kollegen neidisch sein müss(t)en.
Das ist hier der Fall. „The Now“ (ein etwas großspuriger Titel) ist ein bestechendes Beispiel von Jazz-Konvention, eines nach mehreren Seiten ausgreifenden Mainstream-Jazz. Das ist Midland-Jazz, das Kernland des Jazz, mit einer Fülle kleiner Rafinessen und Variationen dessen, was wir lange schon kennen.
Das kann man nicht auf dem Konservatorium lernen, das muss in der Praxis erarbeitet werden, möglichst im Umfeld von viel beschäftigen, älteren Kollegen.
(Ein Schweizer Kritiker-Kollege brachte dieser eine Entwicklung auf den Begriff, die man kennt, aber noch nicht so formuliert hat: die Vita vieler junger europäischer Jazzmusiker beschränkt sich heute auf die Nennung ihrer namhaften Ausbildungsstätten, aber es fehlt das paying the dues, die Arbeit, die mitunter harte Schule mit älteren Musikern.)
Schon die Rhythmusgruppe hier agiert delikat, und der Bandleader ist so stolz auf seinen Drummer, dass er ihm mit „E-Land“ einen eigenen track widmet, wo Eric Harland das Riff-Thema umspielen kann. Vor allem hat der Mann einen Sound auf der snare, wie man ihn in Europa selten findet.
Oder nehmen wir die beiden swinger „Perhaps“ von Charlie Parker und das aberwitzige „Background Music“ von Warne Marsh, zwei Hochtempo-Stücke, die wunderbar aus dem Ärmeln perlen.
Aaron Goldberg eröffnet mit einer Ballade von Chico Buarque, „Triste...“ und „Francisca“ stammen ebenfalls aus brasilianischem Repertoire.
„Yoyo“ hört sich an wie ein funky Calypso, kommt aus Haiti, und wie auch in dem mehr boppigen „One´s a Crowd“ verschmilzt das Trio zu einer sehr kompakten, eleganten Einheit.
Im Finale „One Life“ tritt Kurt Rosenwinkel hinzu, und erinnerte man nicht, dass er im Thema Gitarre spielt, könnte man sein bewegendes Solo für einen Akt auf dem Synthesizer halten.
„One Life“ dürfte ein Unikum in der Jazzgeschichte darstellen; es ist ein Requiem, bei Goldberg in Auftrag gegeben von einem Elternpaar, das seine Tochter im Teenager-Alter verloren hat.
„Es ist unmöglich, ein Leben in Musik festzuhalten, ich hatte die Tochter auch nie persönlich kennengelernt“, notiert Goldberg (als ob das eine mit dem anderen zu verbinden möglich wäre), gelungen ist ihm ein akustischer Kleinod. Nicht nur die Eltern dürfen ergriffen sein.
erstellt: 18.05.15
©Michael Rüsenberg, 2015. Alle Rechte vorbehalten