JOHN ESCREET Sabotage and Celebration *******

01. Axis of Hope (Escreet), 02. He who dares, 03. Sabotage and Celebration, 04. The Decapitator, 05. Laura Angela, 06. Animal Style, 07. Beyond our wildest Dreams

John Escreet - p, ep, harpsichord, David Binney - ss (7), as, Chris Potter - ts, Matt Brewer - b, Jim Black - dr,
Adam Rogers - g (5,7), Louis Cole, Genevieve Artadi, Nina Geiger - voc (7), Fung Chern Hwei - v, Annette Homann - v, Hannah Levinson - va, Mariel Roberts - vc, Garth Stevenson - b, Shane Endsley - tp, Josh Roseman - tb

rec. 07.11.2012
Rough Trade/Whirlwind Recording WR4634


Ist von der neuen Generation britischer Pianisten die Rede, also von Gwilym Simcock, Kit Downes & Co, kommt nie die Sprache auf John Escreet.
Das hat einen Grund.
Denn Escreet, 1984 geboren in Doncaster/Yorkshire (wie John McLaughlin 42 Jahre zuvor), reüssiert wie jener nicht daheim, sondern vor allem in New York. Seit 2006 lebt er dort, ein Schüler von Kenny Barron und Jason Moran der Manhattan School of Music.
Und wenn man das weiß, hält man nicht den Schlüssel zu einer Erklärung der stilistischen Sprünge dieses Albums in der Hand, wohl aber einen kleinen Indikator dafür.
Der gewichtigste, weil hörbare Einfluss aber ist in dieser Produktion persönlich anwesend: David Binney, der früh auf sein Talent aufmerksam wurde („Aliso“, 2009). link
Escreet teilt seine Vorliebe für sperrige, eckige Themen, die in M-Base-Manier ausgeführt werden, also eine besonders abgedreht Form von Jazzrock und Funk. Er teilt ebenso Binney´s Ausflüge ins freie Metier sowie seine mitunter süffige Themen-Konstruktion.
Nirgendwo aber prallen bei David Binney diese konträren Auffassungen so aufeinander wie hier, auf dem fünften Album von John Escreet „Sabotage and Celebration“.
Das gilt insbesondere für das Titelstück und den letzten Track: sie lassen mitnichten ahnen, wo sie später landen!
cover-Escreet-sabotage„Sabotage and Celebration“ startet mit dissonanten Piano-Akkorden, unterfüttert vom Streichquintett und einer film noire Stimmung, als unvermittelt bei 1:11 eine FreeJazz-Orgie des Kern-Quintetts ausbricht. Das hält sich in bester Moers-Manier, abgelöst von einem einem stilistisch passenden Solo des Gastgebers bis 6:23 - als jener mit einer hypnotisch perlenden Figur in den zweiten Teil des 11-Minuten-Stückes überleitet, einen hart zupackenden M-Base-Funk,  auf dem Escreet die Puste nicht ausgeht, weil geschickt mit Wiederholungen arbeitet.
Chris Potter übernimmt, Escreet begleitet ohne jeden Dynamikabfall (vielleicht hat er das bei Kenny Barron gelernt), zum Schluß haut er noch mal den perlenden Piano-Vamp heraus, wir erkennen: er steht in 5/4.
„Beyond your wildest Dreams“, das zweite Kontraststück, beginnt als schön-schläfrige Ballade, bei 3:11 kommen die drei Stimmen wie von weit her dazu, der Bandleader übernimmt am Cembalo, und ab 4:11 setzt ein Ohrwurm ein, mit allen Bläsern und den Streichern, der fünf Minuten lang nicht aufhören will.
Mag ja sein, dass John Escreet während des Hurricans Jane, wie die Legen zu diesem Album besagt, nichts anderes übrig blieb als die Musik zu dieser Produktion zu komponieren. Aber irgendwann in diesem bangen Stunden muss er eben auch Michael Nyman gehört oder wenigstens einen Peter Greenaway Film mit dessen Musik gesehen haben.
Frei-metrischer FreeJazz und fröhliche Nyman-Achtel in ein und derselben Produktion, geht das? Noch dazu gleichermaßen kompetent ausgeführt?
Ja, es geht. Und wir dürfen nicht drei Jazzrock-Hämmer ausblenden:
„He who dares“, wo Escreet die Saxophon-Kollegen wechselweise über 3/4 und 4/4 solistisch brillieren lässt (Binney besser als auf seinem letzten eigenen Album „Anacapa“).
Das fast „britisch“ anmutende „Laura Angela“, eingehüllt von der Rhythmusgitarre Adam Rogers´, wo Escreet E-Piano spielt.
Und schließlich „Animal Style“, wo Escreet wiederum leichte Dissonanzen perlen (sein Markenzeichen?) und die beiden - hervorragend aufgelegten - Saxophonisten durch einen Parcours von Jazzrock- und M-Base-Rhythmen laufen lässt.

erstellt: 02.09.14
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