WAYNE SHORTER QUARTET Without a Net ********
01. Orbits (Wayne Shorter), 02. Starry Night, 03. S.S. Golden Mean, 04. Plaza Real, 05. Myrrh, 06. Pegasus, 07. Flying down to Rio (Youmans, Kahn, Eliscu), 08. Zero Gravity (Wayne Shorter), 09. UFO
Wayne Shorter - ss, ts, Danilo Perez - p, John Patitucci - b, Brian Blade - dr, Imani Winds - Bläserquintett (6)
rec. 2011
Blue Note 50999 9795162, LC 0133
43 Jahre nach seinem letzten Album („Odyssey of Iska“) kehrt Wayne Shorter zu Blue Note zurück, mit dem dem dritten Live-Album seines Quartetts in einem Dutzend Jahren. Die Aufnahmen stammen aus dessen Europa-Tournee 2011, die Aufnahmeorte sind nicht extra ausgewiesen, wohl aber die Disney Hall in Los Angeles, wo der längste track des Albums mitgeschnitten wurde: das über 20-minütige „Pegasus“, zusammen mit den Imani Winds.
Dieses - überwiegend weibliche besetzte - Bläserquintett, 1997 gegründet in New York, ist so recht geeignet als kammermusikalische Ergänzung. Es zeigt sich auf seinen eigenen Veröffentlichungen jazz-nah, der erste Jazz-Job ist „Pegasus“ aber keineswegs. Das Quintett hat bereits 1999 an Steve Coleman´s „Ascension to Light“ mitgewirkt (damals freilich nicht als Ensemble, sondern unter Einzelnamen).
Eine solche Erweiterung um eher weiche Klangfarben ist für das aktuelle Shorter-Quartett nicht ungewohnt: 2002, auf dem Studio-Album „Alegria“ wurde solchermaßen u.a. „Orbits“ aufgeblasen, ursprünglich eine Komposition für das Miles Davis Quintet 1967 („Miles smiles“).
Mit „Orbits“ eröffnet „Without a Net“, und nicht nur, weil Shorter hier Sopran spielt, hebt es sich maximal von der 2002er Studioversion ab. Das Thema erscheint wie eine Verwandte des ebenfalls 10-tönigen „Masqualero“, vor allem scheinen die ersten vier Töne fast durchgängig als ostinato durch.
Sie geben damit das Thema dieser Produktion vor: so viele vamps gab´s bei Wayne Shorter selten. Selbst „Pegasus“ ist, nach einer Schamfrist von auskomponierten fünf, sechs Minuten durchsetzt von solchen kleintaktigen patterns der Wiederholung. Und vamps heißt: viel Raum für Brian Blade. Selten hat er in den Aufzeichnungen dieses Quartetts so viel Raum gefunden für Akzentsetzungen und Zuspitzungen. Und selten zuvor hat das Quartett so lang auf rockigem Grund agiert, die ersten fünf Stücke grooven alle mehr oder weniger binär.
Selbiges gilt auch für große Teile von „Pegagus“, allenfalls vorübergehend läuft mal eine swingende walking bass line durch.
Formal herrscht hier, wie auch früher, das quartett-typische Prinzip der Dekonstruktion. Das ist lange schon keine Kritiker-Erfindung mehr, sondern klar ausgearbeitetes Konzept, wie man von Brian Blade in einem aktuellen Interview erfahren kann. Wayne Shorter kommt mit einem Haufen Noten, wählt aber nur einen Bruchteil davon und überlässt selbst diesen seiner Band zum Auseinandernehmen.
Das ist von Konzert zu Konzert anders, insoweit können die Besucher der Europatournee 2011 vielleicht allenfalls Umrisse erkennen, aber nicht mehr feste Bezüge zu ihren Höreindrücken aufbauen.
Bis auf „Orbits“ und „Plaza Real“ (aus der Weather Report-Zeit) sind die Themen neu, und bei den wuchtigen drei Eingangsakkorden von „S.S. Golden Mean“ demonstiert der Bandleader ein wundervolles Beispiel von super-imposing: er setzt das Thema von Dizzy Gillespie´s „Manteca“ obenauf, sehr zum - hörbaren - Vergnügen seiner Mitstreiter.
Anzeichen solcher Anteilnahme nimmt man des öfteren wahr. Und kann sich den visuellen Teil leicht imaginieren: dies ist eine Band, die sich auf offener Bühne erlaubt, Freude zu zeigen über Gelungenes - ganz im Gegenteil zu Shorters Vor-Vor-Vor-Band, dem Miles Davis Quintet, das 1969 einen Feuerwerk nach dem anderen zündet ohne mit der Wimper zu zucken.
erstellt: 13.02.13
©Michael Rüsenberg, 2013. Alle Rechte vorbehalten