MARIUS NESET Golden Xplosion *********

01. Introducing Golden Xplosion (Neset), 02. Golden Xplosion, 03. City on Fire, 04. Sane, 05. Old Poison XL, 06. Shame us, 07. Saxophone Intermezzo, 08. The Real YSJ, 09. Saxophone Intermezzo II, 10. Angel of the North, 11. Epilogue

Marius Neset - ss, ts, keyb, harm, Django Bates - keyb, horn, tp, Jasper Høiby - b, Anton Eger - dr

rec 25.-27.01.2010
Edition Records EDN1027

Ein gewisses Vor-Echo zu dieser Produktion war durchaus zu vernehmen.
Wenn Django Bates über seine Studenten am Rythmisk Musik Konservatorium in Kopenhagen spricht, dann hebt er gerne einen jungen norwegischen Saxophonisten namens Marius Neset hervor. Und beim Konzert anlässlich seines Fünfzigsten, im Oktober 2010 im Londoner King´s Place, da zeigte sich der etatmäßige Saxophonmann von Human Chain, Iain Ballamy, lediglich am Schluß auf der Bühne - quasi „seinen“ Part, in den sau-schweren Arrangements, hatte zuvor Marius Neset übernommen.
Subtext: da kommt was auf uns zu!
In seiner Unbescheidenheit hat der Albumtitel nicht einmal unrecht: selbst wer die Vorzeichen zu deuten weiss, wer also den Erwartungspegel schon angehoben hat, auch der droht von dieser „Goldenen Explosion“ hinweggefegt zu werden.
Die ersten drei Stücke erzeugen nichts als Verwunderung, sie entfachen 15 Minuten lang einen Sturm, wie man ihn lange nicht mehr gehört hat. Es ist, als schlössen sich die Energien von Brufords „Earthworks“ (1986) mit dem Wirbelwind von Django Bates´ „New York, New York“-Arrangement (1995) zusammen: ungerade Metren, Taktwechsel, Dolomiten-scharf geschnittene Themen, schräge keyboards, jagende Saxophon-Linien, hektisches Schlagzeug ohne Ende - bis die Ballade „Sane“ endlich Ruhe gebietet.
cover-nesetPlatz da für einen Überflieger. Platz da für ein Ensemble, das in Europa seinesgleichen sucht (und in dem live den Posten von Django Bates Matthew Bourne einnehmen wird). Am Kontrabaß die beste Kraft des jungen BritJazz: Jasper Høiby, eine Däne, der in London und nicht in Kopenhagen, am Rythmisk Musik Konservatorium, studiert hat. Von dort kommt Anton Eger, ein Schwede, den Bates schon in seinem abgedrehten Studenten-Ensemble StoRMChaser präsentiert hatte, gleichfalls übrigens Marius Neset.
Er ist 25, er kommt aus Bergen in Norwegen - und hat nichts, rein gar nichts Norwegisches an sich. Von der großen Elegie seiner zahlreichen Kollegen keine Spur, wohl aber Hinweise auf Michael Brecker in seinem Tenorsaxophonspiel, Hinweise wie eine bestimmte Kraft, oder der Harmonizer (digitale Stimmverdopplung), den er offenkundig einsetzt, aber - keine Brecker licks.
Wenn er Sopran spielt, erinnert er ein wenig an John Surman, etwa in dem folkigen „Angel of the North“ oder in „Epiologue“, dem letzten von zwei Chorälen dieses Albums. Ja, es gibt durchaus Kontemplatives auf diesem Album: der andere Choral „Saxophone Intermezzo II“ teilt die ersten vier Noten mit „O Haupt voll Blut und Wunden“.
Überhaupt die Saxophon-Solo-Stücke: es gibt fünf davon, vier sind durch overdubs entstanden, also Mehrspur-Aufnahmen, darunter eines, „Old Poison“, wo er - natürlich - Überblastechniken, multiphonics, herausstellt oder, in dem funky „The Real YSJ“, saxophone-percussion. Sowas muß so einer einfach draufhaben.
„Old Poison“ hingegen fällt aus dem Rahmen. Dazu ist ausdrücklich notiert „no overdubs“. Es ist das rätselhafteste Stück des ganzen Unternehmens, eine Zirkusnummer, ohne dass sie danach klingt. Marius Neset greift hier erneut den 5/4-Takt sowie die Terz der beiden „Xplosion“-Stücke auf - und variiert das Motiv ... dreistimming!
Wie macht der das?
(Eine e-mail-Anfrage ist einstweilen unbeantwortet, die Erklärung wird hier nachgereicht.)
Strukturell macht Neset hier ganz ähnlich das, was er im Auftaktstück mit Django Bates tut: ein Motiv mit reichlich Luft (Pausen) nach und nach mit jeder Menge offbeat Einwürfen verdichten.
Was waren  - manche - Europäer stolz, als seinerzeit Esbjörn Svensson auf dem Cover von down beat erschien. Der hatte damals die Propellerkraft eines geschäftigen Labels hinter sich, Marias Neset ist mit diesem, übrigens seinem zweiten Album, lediglich bei einem englischen Musikerlabel angesiedelt.
Mal schauen, wie lange er aufs Cover von down beat braucht. Denn dort gehört er hin. Aber ob unsere lieben amerikanischen Freunde das „einfach so“ herausfinden werden?

erstellt: 28.04.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten