ADAM BENJAMIN Long Gone *******

01. Giant Steps (John Coltrane), 02. Don´t talk (put your head on my shoulder) (Wilson), 03. Hed over Heels (Orzabal, Smith), 04. He´s gone away (trad), 05. Resignation (Mehldau), 06. Willow weep for me (Ronell), 07. Story from a Stranger (Metheny), 08. Ask me now (Monk), 09. Broadway Blues (Ornette Coleman), 10. Law Years, 11. Long gone (Benjamin)

Adam Benjamin - p, ep

rec 04.2007
Rough Trade/Kind of Blue Records KOB 10025; LC 12436

Von Adam Benjamin hat man noch nicht viel Kenntnis nehmen können; live hierzulande allenfalls durch seine Rolle im Dave Douglas Keystone Quintet. Importerfahrene werden vielleicht auch sein Album "It´s a Standard, Standard, Standard, Standard World" kennen oder seine Band Kneebody.
Ein Mann fast ohne Vorleben also, bei Dave Douglas allenfalls aufgefallen durch die in stoischer Ruhe vorgetragenen, perlenden Läufe auf dem
Fender Rhodes.
Schon der erste track räumt auf mit der Erwartung, ein übliches Solo-Piano-Album zu eröffnen. Zu vermutlich keinem anderen Zeitpunkt der Jazzgeschichte hat dieses Format durch eine solche Vielfalt gelockt wie heute, gleichwohl beschränken sich viele dieser Unternehmungen auf eine "seriöse" Anmutung, auf einen melancholischen, gediegenen Ausdruck.
Wenig von alledem bei Adam Benjamin. "Giant Steps" beginnt zwar gedankenverloren mit
arpeggios in der linken Hand, die aber nach wenigen Sekunden vom Thema (mit der rechten Spielhand) durchwoben werden - und anschließend die Tonart wechseln. Und das nicht zum letzen Mal: dieses "Giant Steps" lässt sich überhaupt nicht auf die Form des Originals ein, es beschränkt sich auf ein relativ kurzes Jonglieren mit seinen Elementen - und lässt es dann gut sein.
Sehr viel mehr Schwermut liegt dann in dem folgenden
Beach Boys cover, und die Heiterkeit des Anfangs stellt sich wieder ein bei "Head over heels" von Tears For Fears. Ja, die jungen Pianisten von heute über nehmen nicht die alte Ordnung "leichter" und "schwerer" Zeichen. Was für ein Ohrwurm wird hier in "Head over Heals" verarbeitet, übrigens dem ersten von mehreren multitrack-Stücken des Albums; Benjamin belegt eine Piano-Spur mit feedback und fügt noch eine Melodica-Stimme hinzu. Ähnlich hüllt er Pat Metheny´s"Story from a Stranger“ zum Schluß in eine Hallfahne. (Ihm würde man gerne auch Nick Drake- und Radiohead-Interpretationen überantworten).
Allein schon diese tontechnischen Kunstgriffe vergleihen dieser Produktion eine Farbigkeit, die den meisten anderen Solo-Piano-Produktionen nicht zu eigen ist. Mann kann auch sagen: sie machen es unterhaltsamer.
Wie viele seiner Kollegen teilt Adam Benjamin ein Faible für
Brad Mehldau; aber er interpretiert dessen "Resignation" eckig, quasi "monkish" und später Monk, "Ask me now", als Tribut an einen (seinen?) "großen Lehrer" Art Lande.
"Giant Steps" und "Willow weep for me", schreibt er im Pressetext, hätten seine musikalische Identität herausgekitzelt. Auch bei letzterem dürfte Benjamins Zugriff unter hunderten "Willow"-Versionen auffallen. Er geht das Stück, üblicherweise als Ballade gehandelt, in
Boogie-Manier an, mit Stride-Elementen und mehreren Tempo-Irritationen. "Willow weep for me" tritt unter den Händen dieses weißen Pianisten bluesiger hervor, als es eigentlicht ist. Ein wunderbare Kunstgriff.
Schon wieder ein Boogie in Ornette Coleman´s "Broadway Blues", aber konterkariert mit Cluster-Akkorden und weiteren Alterationen in der Melodiestimme.
"Long Gone", das Finale, die einzige Eigenkomposition von Adam Benjamin, entpuppt sich dann als der Radiohead-artige Song, den das Album ansonsten entbehrt: ein Popsong mit Jazz-Harmonien.
Es düfte nur wenige Solo-Piano-Alben von Jazzmusikern geben, die man so gerne durchhört und einfach auf "repeat“ schaltet wie dieses von
Adam Benjamin.

erstellt: 01.04.08 (ergänzt am 19.04.10)

©Michael Rüsenberg, 2008, Alle Rechte vorbehalten