SOFT MACHINE Middle Earth Masters (*)-(******)
01. Clarence in Wonderland (Ayers), 02. We know what you mean, 03.Bossa Nova Express, 04. Hope for Happiness (Brian Hopper, Ayers, Ratledge), 05. Disorganisation (Ratledge), 06. We did it again (Ayers), 07. Why are we sleeping? (Ayers, Ratledge, Wyatt), 08. I should´ve known (Hugh Hopper), 09. That´s hoch much I need you (Wyatt), 10. I should´ve known (Hugh Hopper), 11. A certain Kind (Hugh Hopper)
Kevin Ayers - g, bg, voc; Mike Ratledge - org, Robert Wyatt - dr, voc
rec 16.09.1967, 05/1968
Fenn Music Service/Cuneiform Rune 235
Aus Brian Bennett´s vorzüglichem Buch wissen wir, wie sehr die Geschichte dieser Band von Absurditäten und Paradoxien geprägt war. Und so lernen wir denn aus seinem Band "Out-bloody-rageous" über diese Produktion etwas, was uns die liner notes vorenthalten.
Im August 1967 entstiegen vier verwegene Gestalten einem Bandbus in Dover, drei Briten, ein Australier. Da die Grenzbeamten nichts Anrüchiges finden konnten, hielten sie sich an dem Australier schadlos, der kein gültiges Visum vorweisen konnte - Daevid Allen wurde die (Wieder)einreise verweigert, Soft Machine mussten nolens volens die nächsten Konzerte als Trio absolvieren, darunter - als sechster gig - das hier mitgeschnittene vom 16.09.67 im "Middle Earth", einem Kellergewölbe in unmittelbarer Nachbarschaft zur Covent Garden Opera.
Das Konzert wurde von einem gewissen Bob Woolford mitgeschnitten, mit Hilfe eines irjenswie zusammengebastelten Apparates. 1994, und nun kommt das booklet wieder zu seinem Recht, besucht Mike King, der Produzent dieser Edition, Woolford in seiner neuen Heimat in Connecticut/USA - und findet bei ihm einen Bandkarton mit der Aufschrift "Soft Machine at Middle Earth". Es folgen ausgiebige Informationen über den desaströsen Zustand des Master-Bandes, nebst solchen über das aufwendige Restaurieren derselben. Und dann der Satz, Woolford habe Mike Ratledge irgendwann in den 70ern an die Middle Earth-Bänder erinnert und von dem ein "burn them!" geerntet.
Wenn man die drei ersten tracks hört, wünschte man, Woolford wäre seinerzeit dieser Aufforderung gefolgt. Ayers singt so vor sich hin, wie auf einer privaten Party und spielt genau so amateurhaft Gitarre.
Die Wende kommt mit "Hope for Happiness". Ayers wechselt zum Bass. Das Stück steht normalerweise in 6/8, aber während des langen Ratledge-Solos vergessen Ayers & Wyatt diesen, spielen kurz Shuffle und stampfen ansonsten in 4/4, ja fast in Motown-Manier. Das ist gekonnt gemacht. Ein ähnliches Motiv taucht später wieder auf, in der zweiten Fassung von "I should´ve known"; hier erfüllt sich klingend, was Bennett in seinem Buch andeutet, nämlich die mitunter verzweifelte Suche der frühen Soft Machine nach Spielmaterial, das ankommt, z.B. Motown-Patterns.
Kevin Ayers war damals ein lausiger Gitarrist, aber ein respektabler Bassgitarrist, der zusammen mit Robert Wyatt eine Rhythmusgruppe bildete, die den wilden Solo-Exkursionen von Mike Ratledge zu folgen wusste, einfach, aber höchst wirksam. Denn nicht nur, weil der Gesang hier meist kaum zu hören ist - dies ist die Stunde von Mike Ratledge. Frappierend, mit welcher Intensität, mit welchem Klangsinn und immer wieder neuen Varianten er zu improvisieren wusste. Und die Rhythmusgruppe hält mit! "I should´ve known" (2), "Hope for Hapiness" und "We did it again" dürften Gipfelpunkte des Improvisationsvermögens aus dem damaligen (Rock)Musiker-Mileu sein. Man staunt, dass solche Ausbrüche aus der Form überhaupt schon möglich waren, in "We did it again" z.B. lässt Ratledge minutenlang ein Orgel-Cluster liegen. Vieles, was sich später zu seinem unverwechselbaren Stil emporgerankt hat, ist hier bereits vorhanden.
Heute kaum zu glauben, dass solche Momente aus ein und demselben Konzert stammen, das mit "Clarence in Wonderland" auf dem Niveau einer Teenager-Party begonnen hatte.
erstellt: 06.10.06
©Michael Rüsenberg, 2006, Alle Rechte vorbehalten