FLORIAN ROSS QUINTET home & some other place ********

FLORIAN ROSS QUINTET home & some other place ********

1. Dr. Gradus (Florian Ross), 2. Pretty Thing, 3. 5 Freunde, 4. Strange but true, 5. Richard called, 6. Tiger Holiday, 7. Platypus, 8. Pretty Thing postlude, 9. Hal, 10. Like like like, 11. Arts & Chemistry, 12. Lanugo, 13. Sunshower, 14. 4W, 15. Short Visit

Florian Ross
- p, Claus Stötter - tp, flh; Matthias Erlewein - ts, Dietmar Fuhr - b, Stéphane Huchard - dr

rec 5-8.7.2004

AL!VE/Intuition INT 3381 2; LC-Nr 08399

Unsereins möchte ja gerne wetten, dass in manchen Rezensionen zu diesem Album ein Gedanke auftauchen wird, der in seiner reinen Form so lautet: "Die Kraft, mit der er seine Meute spielerisch anführt, erinnert an die magische Urgewalt eines McCoy Tyner in den sechziger Jahren."
Der Satz steht im Begleitpapier zu diesem Album, welches das Label an Journalisten verteilt. Kein "Endverbraucher", vulgo: Käufer dieses Albums bekommt dieses Papier zu Gesicht. Und das ist
Wowereit, pardon: das ist auch gut so!
Dieser Satz nämlich ist der
reine Humbug. Wenn der Kölner Pianist Florian Ross mit einem nichts zu tun hat, garantiert nix, dann ist es jener Prankenmeister aus Amerika.
Obwohl, etwas Amerikanisches haftet diesem Album an. Man darf, um die Klänge verbal in den Griff zu bekommen, amerikanische Referenzen anführen. Der erste track, mit seinem Modulationsreichtum á la
Vince Mendoza, ermuntert geradewegs dazu. Und "Platypus", mit seinem Wechselspiel von ternären Grooves und vor allem wie das Thema darauf sitzt, erlaubt Assoziationen an den unvergessenen Don Grolnick.
Wie gesagt, das sind
Assoziationen, also Hilfsmittel der Kommunikation, für die ein Rezensent sich immer wieder rechtfertigen muss (die Hirnforscher lachen darüber); das Neue macht uns ja in den seltensten Fällen sprachlos, sondern sucht auf der Human-Festplatte erst mal die Nähe bei Verwandten, damit wir überhaupt einen Eindruck formulieren können.
Noch eine Assoziation fällig? Bitte, das von Trompete und Tenorsaxophon nonchalant verzogene Thema von "Richard Called" erinnert an Miles Davis´ resp.
Wayne Shorters "Pinocchio" - nur wiederholt sich der anrufende Richard nicht so häufig, ausserdem durchläuft er verschiedene grooves, ja ein regelrechtes groove switching in Folge, u.a. über einer walkin´ bass-, dann Latin-Figur, bis das Stück, nachdem das Thema zum Finale ausgefranst ist, regelrecht "abgewürgt" wird: durch den Bandstopp-Effekt, d.h. "das Band bleibt einfach stehen".
!Richard Called" ist ein schönes Beispiel dafür, wie jüngere Jazzmusiker "durch die Blume" - also auf ihre Art - zu verstehen geben, dass sie eine der grössten Lektionen der Jazzgeschichte verdaut haben: das zweite
Miles Davis Quintet.
Nun müsste man mit der Zoom-Funktion die Unterschiede herausarbeiten, zwischen
diesem Quintet und jenem, beispielsweise die ganz andere Art, heute zu den swing aufzubrechen. Und da steht Florian Ross in Stéphane Huchard ein Musiker zur Seite, den kaum jemand hierzulande kennt - den er, Ross, schreibt er zumindest, aber auch nicht kannte und lediglich auf Empfehlung hin für die Studiositzung gebucht hat, ohne Probe. "Wir trafen uns im Studio, spielten die Stücke zum ersten Mal an und nahmen sie gleich auf (...) Auf Stéphane zu treffen, war wie ein Lotto-Gewinn." (Ross)
Nicht schlecht, der Specht - immerhin hatte er bis dato mit Jochen Rückert und John Hollenbeck nicht gerade Luschen hinter sich...
Am beeindruckendsten kommt Huchards Talent in den drei kurzen, frei
improvisierten Stücken dieser Sitzung zum Tragen, vor allem in "Strange but true". Wenn das wirklich frei improvisiert ist, kann man nur gratulieren, dass & wie Dietmar Fuhr früh mit einer Figur auf eine Art New Orleans Beat von Huchard einsteigt - und dieses pattern glücklicherweise durchhält, wohingegen Huchard ein ganzes Arsenal triolischer Varianten durchspielt.
Die
Irish Times, um mal eine unverdächtige Stimme zu zitieren, hat über ein ganz anderes Projekt von Florian Ross einmal geurteilt: "this is music that´s very advanced melodically, harmonically and rhythmically". Das trifft seinen Post-Bop sehr genau, seine farbigen Themen, die häufigen Parallelen von linker Piano-Hand und Bass, ja und die sehr zielgerichtete Rahmung der Soli:
Solisten werden in Ross-Kompositionen nie allein gelassen, kaum ein anderer deutscher Jazzkomponist legt soviel Wert auf
comping, auf das Begleiten.

erstellt: 10.1.05

©Michael Rüsenberg, 2005, Nachdruck verboten