BEN SIDRAN EUROPEAN 5TET Dylan Different Live in Paris ***
01. Intro - Gotta serve somebody (Dylan), 02. Rainy Day Woman, 03. Blowin´ in the Wind, 04. Subterranean Homesick Blues, 05. All I really want to do, 06. Tangled up in Blue, 07. Everything is broken, 08. Maggie´s Farm, 09. Love Minus Zero, 10. The Times they are Changin´, 11. On the Road again, 12. We are here but for a Minute (Burger, Sidran)
Ben Sidran - p, voc, Rodolphe Burger - g, voc (3,12), Erik Truffaz - tp, Marcello Giuliani - bg, Alberto Malo - dr
rec. 29.04.2010
HarmoniaMundi/Bonsai Music BON 101002
BEN SIDRAN Dylan Different *******
01. Everything in broken (Dylan), 02. Highway 61 Revisited, 03. Tangled up in blue, 04. Gotta serve somebody, 05. Rainy Day Woman, 06. Ballad of the Thin Man, 07. Maggie´s Farm, 08. Knockin´ on Heaven´s Door, 09. Subterranean Homesick Blues, 10. On the Road again, 11. All I really want to do, 12. Blowin´ in the Wind
Ben Sidran - p, ep, org, voc, Marcello Giuliani - b, bg, Alberto Malo - dr, Rodolphe Burger - g, voc (12), Bob Mallach - ts, fl, bcl, Michael Leonhart - tp, flh, Amy Helm - b-voc, Georgie Fame - org, voc (5), Jorge Drexler - voc (8), Leonor Watling - b-voc (8), Leo Sidran - g, org, p, koto, arr
rec. 01.-04.06.2009
HarmoniaMundi/Bonsai Music BON 091101
Der Auftakt könnte amerikanischer nicht sein: wallender, marschierender Groove, darüber spoken word, von einem Mann, geboren 1943 in Chicago, der weiß, wie man Worte auf Musik setzt, sodaß sie noch improvisiert erscheinen, aber rhythmisch nicht aus dem Rahmen fallen.
Das findet statt in Europa, am 29. April 2010 im Pariser Club „New Morning“. Und doch könnte der Auftakt un-amerikanischer nicht sein: Sidran´s Vortrag mag zwar ästhetisch geschickt sein, er ist aber nicht künstlerischer Natur - er stellt in wohlgesetzen Worten das Konzept vor; ausführlicher als man es je von einem amerikanischen Musiker gewohnt war. Knapp drei Minuten in bestem Entertainer Voice Over, inclusive der Frage:
„people say to me: ´why did you record the music of Bob Dylan´?
Und Sidran antwortet ausführlich: dass er um Dylans Musik gar keinen Bogen habe machen können. „Er stand vor mir wie eine große Mauer. Ich hätte drüberklettern, unter ihr hindurch oder um sie herum gehen müssen. Ich habe mich für eine andere Möglichkeit entschieden: Ich ging einfach durch sie hindurch. Und fand heraus, dass Bob Dylan eine Art Leinwand ist, auf die wir unsere eigenen Filme projezieren. Das ist also mein persönlicher Film über Bob Dylan.“
Und dann bringt Ben Sidran, einer der gebildetsten Jazzmusiker, die uralte Lust auf Standards, auf cover versions, plakativ auf den Begriff, wie kaum jemand zuvor:
„So in a way we´re playing Ben Sidran, Bob Dylan is just the vehicle we´re gonna drive.“
Lässt drei weitere Takte instrumental verstreichen und setzt ein mit dem Text von „Gotta serve somebody“.
Für „Rainy Day Woman“ (ja, der Song mit dem Refrain „But I would not feel so all alone. Everybody must get stoned.“) ruft er den Gitarristen & Sänger Rodolphe Burger hinzu, ab track 4 ist Erik Truffaz dabei - und man möchte glatt aufhören weiterzuhören.
Der Schweizer Trompeter gibt erneut den „Miles Davis für Arme“, seine Gestaltungskraft in den Soli ist so schwach und brüchig, dass man jedesmal betet, er möge bitte, bitte heil durch die changes kommen.
In „Maggie´s Farm“ fällt das ganze Unternehmen auseinander, von einem Groove kann keine Rede mehr sein - schon gar nicht von dem dunkel tapsenden der Studioversion, aufgenommen ein gutes Jahr vorher im Elsaß, 2009. Das Rätsel wird noch größer, wenn man bedenkt, dass die Rhythmusgruppe in beiden Fällen identisch ist.
„Maggie´s Farm“ auf dem älteren Album ist einer der Höhepunkte in der Anverwandlung der Musik von Bob Dylan durch Ben Sidran, eine vielfarbige Übersetzung in einen deutlich jazzigeren, afro-amerikanischen Modus, mit vor allem bekräftigtem Blues-Feeling. Die Hälfte der Stück von „Dylan different“ zeigt Blues-Struktur, Sidran hat sich überwiegend beim Dylan der Jahre 1964-70 bedient.
Das kam einfach so. Der eine oder andere Dylan-Song wanderte in sein Repertoire, Zuhörer kamen und lobten, „toll, endlich können wir die Texte verstehen“.
Abgesehen davon, dass er dem Mann zweimal persönlich begegnet ist (in des Wortes engster Bedeutung, ohne jede Folgen) war Ben Sidran vor ein paar Jahren als artist-in-residence an der Universität von Wisconsin auf seine Musik gestoßen, im Rahmen des Projektes „Jews and the American Dream“, das wohl sein nächstes Buch werden wird.
Warum Dylan, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, so selten von Jazzmusikern aufgegriffen wurde? Sidran meint, die Harmonien seiner Songs lüden nicht gerade zur Jazz-Interpretation ein: „Wenn man die Texte wegdenkt - was bleibt dann noch?“
Eben weil Dylans Ausdruck so singulär sei, müsse man dem eine eigene, persönliche entgegensetzen. Und das gelingt Ben Sidran, zumindest in der Studio-Version, bestens. Sidran nuschelt nicht, er setzt seine wunderbar geschmeidige Jazz-Phrasierung ein, die verschmerzen lässt, dass er nicht eben über ein kräftiges Organ verfügt, genau so wie seine Referenzen Mose Allison und Georgie Fame.
Vor allem als Arrangeur zeigt er mit seinen Re-Harmonisierungen ein untrügliches Gespür für Farben und Stimmungen, der Einsatz der Instumentalisten ist glänzend. Wer will, kann sich geradezu ergötzen an den zahlreichen Anspielungen an die sixties: das Wurlitzer E-Piano, die „cheesy“ Orgelklänge, manchmal wie bei den Barkeys, das „Eleanor Rigby“-Zitat, das er in den „Subterranean Homesick Blues“ hineinwehen lässt.
Kurzum, Ben Sidran erweist sich erneut als der Jazz-Entertainer, der er in seinen besten Zeiten oftmals war. Sein „Dylan different“ (die Studio-Fassung!) ist herrlich unterhaltsam.
erstellt: 18.03.11
©Michael Rüsenberg, 2011. Alle Rechte vorbehalten