KENNY WERNER TRIO Animal Crackers *******

01. Ari (Kenny Werner), 02. The Song is you (Jerome Kern, Oscar Hammerstein), 03. Animal Crackers (Werner), 04. Breathing Torso (Werner, Weidenmüller, Hoenig), 05. I should care (Cahn, Stordahl, Paul Weston), 06. What? (Werner), 07. If I should lose you (Rainger, Robin), 08. Iago (Werner), 09. Mechanical Arm (Werner, Weidenmüller, Hoenig)

Kenny Werner - p, ep, synth (4,6), Johannes Weidenmüller - b, Ari Hoenig - dr

rec. 09./10.05.2016
Pirouet PIT 3099

Welcome back Pirouet Records!
Der Wandel am Jazz-Tonträgermarkt ist grausam. Der Verkauf von CDs nimmt rapide ab, downloads ebenso, Streaming produziert wunderbare „Einschaltquoten“, lässt aber nur ein Rinnsal an Einkünften auf die Konten von Künstlern und Labels fließen.
Vor diesem Hintergrund hat sich das Münchner Label vor einem Jahr vom Markt zurückgezogen und zumindest Neuproduktionen eingestellt. Pirouet hat vor allem auf dem Piano-Sektor Vorzügliches vorgelegt: Marc Copland, Bill Carrothers und Pablo Held haben hier publiziert, aber auch Schlagzeuger wie Jochen Rückert und Bill Stewart. Auch tontechnisch und im Hinblick auf graphic design gehorchen Pirouet-Produktionen einem Standard, der heute als von „hoher Wertigkeit“ durchgeht.
Ein Jahr lang hat Pirouet die Lage analysiert: „Dabei kam heraus, dass, wenn sich der Verkaufstrend so weiterentwickelt, die teuren Produktionskosten im eigenen Studio nicht mehr eingespielt werden können“.
Das Comeback ist freilich „erst einmal nur vorübergehend“, das Label bringt zunächst acht weitere Alben heraus, zu denen die Studioaufnahmen bereits vorliegen.
Das Comeback könnte besser nicht sein als mit dem Trio des Pianisten Kenny Werner, ein vergleichsweise junger stable-mate von Pirouet.
Dessen letzter Beitrag („The Melody“) ist im September 2014 in New York City entstanden, ein paar Monate nachdem wir die Band beim Festival in Langnau/CH bewundern konnten; „Animal Crackers“, obwohl mit sehr New Yorkeríschem Covermotiv, wurde im Label-eigenen Studio in Oberhaching aufgezeichnet.
Das Kenny Werner Trio spielt in dieser Besetzung (mit dem 1991 aus Köln zugewanderten Johannes Weidenmüller) seit 18 (!) Jahren zusammen. Und allein schon ein Blick auf die Instrumentenliste lässt erahnen, dass es hier gewohnte Bahnen verlassen wird.
cover werner animalDas geschieht spätestens mit track 4, mit der Kollektiv-Komposition „Breathing Torso“. Sie beginnt mit Synthie-Streichersounds, später kommen eine singende Säge und Chorisches aus dem Digitalspeicher hinzu - es konnte niemand erwarten, dass Kenny Werner, ein Hohepriester des delikaten Piano-Akustik-Klanges, auf seine alten Tage noch auf die Seite der elektro-akustischen Forscher sich schlagen würde.
Wie gesagt, diese Band teilt 18 Jahre an gemeinsamer Erfahrung; viel wichtiger, dass sie in „Breathing Torso“ deutlich den Rahmen des mehr oder weniger Mainstream-Jazz verlässt, innerhalb dessen sie sich sonst mit großer Grazie bewegt.
Das Stück besitzt keinen durchgehenden Rhythmus, es moduliert sich durch unterschiedliche „freie“ Formen bis hin, zum Schluss, zu einem angedeuteten Rock-Groove.
Und damit niemand auf falsche Gedanken kommt, schicken die drei sogleich einen herrlichen medium tempo swing hinterher, den Standard „I should care“, freilich in sehr eigener Behandlung.
Vorher hatten sie schon „The Song is you“ durch einen Parcours diverser Grooves geführt, mit häufigem switching zwischen binär & ternär.
Der Bandleader hat dafür eine schöne Beschreibung gefunden:
„Wir nehmen sehr gerne einen Standard und verwandeln ihn in eine unserer eigenen Kompositionen.“
Und dafür hat er am Schlagzeug eine der Ideal-Besetzungen, den enorm melodischen Ari Hoenig. Der ist für diese Produktion ein solches Juwel, dass Werner für ein Rhythmus-Arrangement aus einem von dessen Alben hier eine Melodie geschrieben hat: „Ari“.
Das Stück ist stilistisch klar als Jazzrock zu charakterisieren;  an drei Stellen steigt das Trio lediglich für 4 Takte in einen Shuffle-Rhythmus um, Kenny Werner spielt das Solo eher akkordisch-verträumt auf dem E-Piano.
Auch das Titelstück fällt weit aus dem Mainstream-Rahmen, es ist rhythmisch völlig abgedreht und klingt wie ein Monk meets M-Base. Werner führt mehrere Akustik- und E-Piano-Stimmen zusammen.
Das ist Funk delikat!
Nämliches trifft auf „What?“ zu, ein Korrespondenzstück zu „Who“ des Vorgängersalbums „The Melody“. Es beruht auf einem ausgesprochenem vamp, über den Kenny Werner an seiner dichtesten Stelle alle drei keyboards zusammenführt. Um 3:50 scheint das Stück zu Ende - wird aber dann überraschend im Doppeltempo zu Ende geführt.
Eine ähnliche Techik führt er im Schlussstück ein, ein langsam groovendes Stück in eine gebrochenen Shuffle-Rhythmus, alle drei Stimmen laufen im offbeat voneinander weg und wieder aufeinander zu. „Mechanical Arm“ ist stark komponiert, insbesondere im Mittelteil, wo Ari Hoenig poly-metrisch abweicht. Die Wirkung ist, als wollten drei zueinander und schafften es nicht.
Um 4:10 setzt das Stück in einer Coda völlig neu an, flüssig, spritzig gespielt, mit permanent wechselnden Akzenten, eine Art Salon-Funk, der gegen 7:08 ziemlich unvermittelt abbricht.
Wenn dies ein Experiment war, dann ein wenig überzeugendes, nämlich das ratlose Finale eines ansonsten strukturell und klanglich so delikaten wie raffinierten Kammerjazz-Projektes.

erstellt: 10.11.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten