JOHN HOLLENBECK & FRANKFURT RADIO BIG BAND Songs you like a lot ********
01. Down to the River to pray (trad), 02. Blue (Joni Mitchell), 03. How deep is the Ocean? (Barry, Maurice + Robin Gibb), 04. Fire and Rain (James Taylor), 05. Don ́ ́t give up (Peter Gabriel), 06. Kindness (Hollenbeck, Nye), 07. Pure Imagination (Bricusse, Newley), 08. Knows only God (God only knows) (Brian Wilson, Tony Asher)
John Hollenbeck - comp, arr, cond, Theo Bleckmann - voc, Kate McGarry - voc, Gary Versace - p, org
Frankfurt Radio Big Band
Heinz-Dieter Sauerborn - sss, as, cl, fl, Oliver Leicht - ss, as, cl, fl, Ben Krampf - ss, ts, fl, Steffen Weber - ss, ts, fl, afl, Rainer Heute - bars, basss, cbcl, bcl, Frank Wellert, Thomas Vogel, Martin Auer, Axel Schlosser - tp, floh, Christian Jaksjo, Felix Fromm, Shannon Barnett - tb, Manfred Honetschläger - tb, btb, Martin Scales - g, Hans Glawischnig - b, Jean Paul Hochstädter - dr, Claus Kisselbach - perc
rec. 27.-28.05.2019
Flexatonic Records Flex001
Aller guten Dinge sind drei.
Für den Auftakt der Trilogie „Songs I like a lot“ (2010) traf John Hollenbeck die Auswahl größtenteils selbst (außer dem von ihm zunächst verhassten „Bicycle Race“ von Queen).
In das kollektive Wir von „Songs we like a lot“ (2010/2014) bezog er seine beiden Hauptinterpreten Kate McGarry und Theo Bleckmann ein.
Das auswählende Subjekt für den Abschluss der Trilogie „Songs you like a lot“ waren dann „Hörer“ aus einer „Internet-Abstimmung“, deren top twenty dann erneut Hollenbeck, McGarry und Bleckmann einer letzten Selektion unterzogen.
Das ansonsten sehr instruktive booklet bleibt in diesem Aspekt nebulös. Aber welcher Empirie auch immer die Produktion ihr Entstehen verdankt, das erscheint mit einem Blick auf die setlist als höchst irrelevant.
Dass die Bee Gees, Joni Mitchell und Peter Gabriel unter den Arrangierwünschen an John Hollenbeck vertreten sind, erscheint hinreichend plausibel.
Dass „God only knows“ von den Beach Boys an der Spitze rangierte, ist das einzige Detail, das Hollenbeck herauslässt - verbunden mit der Feststellung, dass er sich in diesem Falle der „einfachsten Lösung, einen extrem populären Song“ zu arrangieren - nämlich durch „simples Re-Orchestrieren“ - versagt hat.
Stattdessen habe er sich lieber die Herausforderung gesetzt, „diesen Klassiker in einem neuen Licht erscheinen zu lassen“.
So weit so konform mit den Absichten vieler Arrangeure.
Wer diese Produktion chronologisch hört, der hat bis zu diesem Zeitpunkt schon einige Beispiele vernommen, die dieses Motto als spezifische Hollenbeck-Kunst formulieren.
„Knows only God (God only knows)“ ist aber noch mal ein ganz anderer Dreh.
Das Spiegel-Wortspiel im Titel ist duchaus wörtlich zu nehmen. Hollenbeck hat sein Arrangement zunächst über den Austausch von Textzeilen aufgebaut.
Theo Bleckmann beginnt mit einer Improvisation aus der Eingangszeile „I may not always love you“ und weiteren Textbestandteilen, unterlegt von einem weichen Stampfbeat im 4/4-Takt (glaubt man zunächst, aber die Betonungen wandern.)
Nüscht davon erinnert an das Original von 1966.
Das taucht erst bei 1:17 auf. Die Posaunen beenden ein instrumentales Zwischenspiel mit dem Hauptthema „God only knows…“ - wobei durchgängig der letzte Ton geschluckt wird.
Wie mit dem Text verfährt Hollenbeck auch mit den Musik-Bestandteilen: er zoomt hinein, beispielsweise in den ostinato-break des Originals, dehnt, wiederholt, fächert auf.
Absolut glänzend: ein Zwischenspiel der Bläser in Minimal-Manier, die ein Kurzmotiv untereinander weiterreichen.
Eben weil wohl ein jeder, der das hört, das Original kennt und mit-denkt, kann er mit den Partikeln polyphon jonglieren. Bis am Schluß die Verbindung auf ein 1-Takt-Bassgroove von „God only knows…“ a la Hollenbeck zusammenschnurrt und Jean Paul Hochstädter gegen dieses Riff antrommelt.
Ein solcher Nachvollzug dürfte schwerer fallen im Stück davor „Pure Imagination“ aus dem Fantasy-Film „Willy Wonka and the Chocolate Factory“, 1971 gesungen von Gene Wilder. Weil es vielen an entsprechen-
der Hörerfahrung mangelt.
Hollenbeck inszeniert den Song als polyphones Kammerspiel, wobei er - kaum merklich - kurze Phrasen der Musik rückwärts laufen lässt.
Noch weniger vertraut dürfte einem deutschen Publikum der Gospelsong „Down to the River to pray“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts sein sowie „Kindness“ von Hollenbeck selbst.
Noch in jedem Teil der Trilogie hat er eine eigene Komposition untergebracht, hier mit dem Argument, dass ihm das gleichnamige Gedicht von Naomi Shihab Nye so gut gefallen habe.
liner notes
Lesenswert, ja instruktiv sind die liner notes. Hollenbeck stellt sich (und uns) bemerkenswerte Fragen zum Thema „Arrangieren“ und schließt das Bekenntnis mit ein, zu Beginn der Trilogie habe er gedacht, er könnte nur das arrangieren, was er auch mag.
„Wie sich nun bei dieser Produktion herausstellt, war ich in der Lage, Stücke zu arrangieren, die ich nicht kannte oder - in einigen Fällen - nicht einmal mochte.“
Welcher Song einer solchen Wertung anheimfiel, lässt Hollenbeck offen.
„Blue“ von Joni Mitchell kann es nicht sein, in den liner notes berichtet er schließlich von einem Trio mit Theo Bleckmann und Gary Versace, The Refuge Trio, das sich anlässlich eines Mitchell-Tributes in New York City 2002 formiert habe (und das offenbar weiter existiert).
"Blue" hat zwar - wenn auch nur stellenweise - einen Beat, kommt aber ohne Schlagzeug aus. Der Gesang ruht ganz überwiegend auf polyphon verflochtenen Linien - ein Markenzeichen von John Hollenbeck.
„How Deep is your Love“ kennt er seit seiner Kindheit aus der Jukebox in einer Bowling Arena.
Auch hier wieder der Text als primäre Inspiration. Er stellt insbesondere die „dringende Intensität“ der Frage im Songtitel heraus.
Es ist zugleich das erste Stück dieses Albums, in dem Hollenbeck wieder das profilierteste seiner Markenzeichen entfaltet, nämlich die irrisierenden Techniken der Minimal Music. Wie kein anderer Arrangeur hat er deren Ästhetik dem Jazz anverwandelt.
Was ist Arrangieren?
Wie gesagt, die liner notes sind sehr instruktiv. John Hollenbeck stellt - wenn auch nicht in Frage - so doch Fragen an sein kreatives Handwerk.
Darunter die leichtest zu beantwortende: „Muss das Original in einem Arrangement noch erkennbar sein?“
Das „Ja“ dürfte in den allermeisten Antworten auf die 100 Prozent zustreben.
Hollenbeck´s Arbeit hier folgt gleichfalls diesem Vorzeichen, auch wenn er - und darin besteht ja seine Kunst - die Originale in sehr unterschiedlichem Maße anklingen lässt.
Aufschlußreich wäre, mit dem anderen großen Umwandler populärer Vorlagen, Django Bates, in einen Dialog zu treten.
Die klingenden Unterschiede sind kar, aber worin zeigen sich Gemeinsamkeiten?
Und - weit über den Jazz hinaus - welche Verwandtschaften lassen sich aus der Musikhistorie heranziehen?
erstellt: 27.08.20
©Michael Rüsenberg, 2020. Alle Rechte vorbehalten