REZA ASKARI Roar feat. Christopher Dell ********
01. Guts (Reza Askari), 02. Square Hanker, 03. Wheelchair Weed, 04. Maining Part One, 05. Nessogenic Psymass, 06. Maining Part Two, 07. Glues, 08. Doolz, 09. FCK.TH.SHIT.ND.MK.MSC, 10. Ballad for V.
Stefan Karl Schmid - cl, ts, Christopher Dell - vib, Reza Askari - b, Fabian Arends - dr
rec. 12/2021
QFTF/Roar 213
Frühjahr/Sommer 2022 sind Stefan Karl Schmid Festspiele in Köln. Der deutsch-isländische Holzbläser erscheint auf drei auf JC-rezensierten Alben.
Nämliches lässt sich über Fabian Arends sagen.
Und über Christopher Dell sowieso. Der erscheint als omnipräsent, und noch dazu in einer stilistischen Breite, von right-into-your-face Avantgarde (etwa mit Dell-Lillinger-Westergaard; demnächst auch hier) bis zum Mainstream-Jazzrock eines Wolfgang Haffner.
Wer Dell bucht, hat die halbe Miete, so auch hier das Trio Roar des 1986 in Fulda geborenen Reza Askari.
Der Funkenflug von Dells Vibraphon klingt unwiderstehlich.
Und das sogleich im ersten Stück, aber nach einer Irritation.
Die ersten 12 Sekunden wirken wie der vorfristige Schluß eines anderen Stückes. Danach erscheint ein Thema, eher Neue Musik-artig, dessen Stringenz zunimmt.
Improv now. Es bleibt unklar, wer solistisch die Führung übernehmen will: Klarinette oder Vibraphon.
Ein reiner Kunstgriff - denn es sind schließlich beide! Und die Rhythmusgruppe folgt mit Beschleunigung und Verdichtung in eine fiebrige Kollektivimprovisation.
Und bevor´s zu übermütig werden, fädeln sich die Melodiker wieder zu einem Thema.
Da sind gerade mal gute drei Minuten vergangen.
Eine solche Landung, quasi in vollem Flug, wäre im Klassischen FreeJazz niemanden eingefallen. Bestenfalls nach einer Dreiviertelstunde.
Nun ist das lange vorbei. Die gestaltenden Eingriffe in den Folgejahren nannte man voller Verlegenheit „kontrollierter FreeJazz“, heute ist dafür das viel smartere Post FreeJazz im Umlauf.
Es spricht nicht aus, aber unterstellt nahezu einen Primat an Planung, vulgo an Komposition. Wie früher das Spiel über die Harmonien, die changes eines Stückes, sind die großen Ausbrüche eingehegt durch Themen und Sub-Themen. Und, komplizierte Grooves, die noch jeden Solisten - bevor er von der Fahne geht - wieder einfangen.
So auch hier, so zum Beispiel im zweiten track, „Square Hanker“, wo eine quasi schreitende Figur im 3/4-Takt das Thema trägt und später die Soli. Aber, kaum meint man die Form entschlüsselt zu haben, fehlt hier und da einfach ein Beat. Der Verdichtung im Kollektiv tut dies keinen Abbruch.
Urplötzlich reisst der Bass das Steuer rum, und das Quartett richtet sich erneut am Thema aus. Diesmal aber über einem anderen Groove.
Man glaubt gerne die Botschaft des Session-Fotos aus dem Studio, dass die Aufstellung (alle vier in einem Rechteck einander zugewandt) der Ausführung solcher Preziosen dienlich war.
Der Standard der Ausführung ist hoch, er beschränkt sich nicht auf furiose Momente, das Quartett kann auch Ballade, kann auch rubato („Doolz“), von broken swing ganz zu schweigen.
erstellt: 08.07.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten