GERALD CLEAVER Griots ******
01. Cooper-Moore (Cleaver), 02. Bond, 03. Virelles (featuring David Virelles), 04. Remembrances (for Mom), 05. Tribe, 06. Victor Lewis, 07. Geri Allen, 08. Galaxy Faruq, 09. William Parker, 10. Akinmusire (featuring Ambrose Akinmusire)
Gerald Cleaver - electronics, David Virelles - p (3), Ambrose Akinmusire - tp (10)
rec. 04/05.2020
577 Records
Bevor Sie diese Produktion hören - vergessen Sie alles über Gerald Cleaver!
Löschen Sie alle Erfahrung mit einem der heute meist-beschäftigen Schlagzeuger zwischen time & free.
Denken Sie keinesfalls an seine Aufnahmen mit Craig Taborn, Thomasz Stanko, Benoit Delbecq, Lotte Anker, Ivo Perelman, Roscoe Mitchell u.v.a.
Und, misstrauen Sie auch den Titeln! Erwarten Sie also nichts über afrikanische Geschichtenerzähler (Griots), und glauben Sie nicht, aus „Victor Lewis“ (dessen Schüler er ist) oder „Geri Allen“ eine Hommage an die Genannten heraushören zu können!
Ja, dieses Album (wie auch sein Vorgänger „Signs“, 2019) steht derart quer zur künstlerischen vita von Cleaver, dass wir unwillkürlich bei Benoit Delbecq nachgefragt haben, ob hier nicht möglicherweise doch eine Verwechslung vorliegen könnte.
„Yeah, I spoke to Gerald a while ago and he was saying he was having a ball at programming e-music ;-)“.
Für Novizen: hier ist nicht die teutonische E-Musik gemeint (mit der Delbecq sehr wohl vertraut ist), sondern electronic music. Das reicht zur Verständigung im Kontext einer e-mail, bedeutet für Außenstehende aber Alles & Nichts.
Vor allem bedeutet es nicht Jazz.
Nehmen wir pars pro toto den opener „Cooper-Moore“. Der erste Klangeindruck: der gedämpfte Glocken-Sound eines mit Ringmodulator bearbeiteten Klanges. Es läuft ein percussion pattern, das klanglich an Gamelan Musik erinnert und rhythmisch keine großen Rätsel stellt. Man erkennt einen 6/8-Takt, aber waitaminute: da schleicht sich an bestimmter Stelle eine Unregelmäßigkeit ein.
Wir zählen und zählen, und kommen auf 7 Takte im besagten 6/8-Takt. Jeder achte Takt aber ist verkürzt auf 4/8 - ergibt einen Zyklus von jeweils 46 Schlägen. Nicht ganz schlecht.
Was Cleaver darüber legt, sind einfache minimal patterns, aber in Techno-Ästhetik, also in Blöcken organisiert; sie werden in Schichten addiert und subtrahiert. Mit dem Schluß gibt er sich keine Mühe, das Stück pläddert einfach so aus.
Was dann folgt, verrät ein gewisses Verständnis von britischer Electronica. Gerald Cleaver kennt die Kling-Klang-Melodik von Eno („Mom“), die Staffelung schwellender Klänge in Vorder- und Hintergrund bei The Orb („David Virelles“, worin jener am Piano mitwirkt, aber im Klangbad untergeht).
Auch „Geri Allen“ hat nüscht mit dem zu tun, was wir von dieser fabelhafen Pianistin kennen, sondern viel wieder mit The Orb und deren Kirmes-Melodik.
Für „Victor Lewis“ hat Cleaver offenbar die alte Roland TR-808 rhythm machine vom Staub befreit, „William Parker“ könnte nahtlos an „Orbvs Terrarvm“, gleichfalls von The Orb, anschließen, aber an nichts von dem im Titel bezeichneten Bassisten.
Die einzige Ausnahme macht Ambrose Akinmusire in dem nach ihm benannten track, seine Trompete ruht ruhig über kauzigen, Vocoder-veränderten keyboard-Flocken. Der Dialog, der sich zwischen beiden Instanzen entwickelt, hat etwas Verkrampftes, in echter Interaktion verliefe er völlig anders.
Hier kann man eine kleine Brücke zu Wollny & Co erkennen.
Ansonsten hat Gerald Cleaver aus Detroit, heute Brooklyn, mehr von dieser Art elektro-akustischer Musik begriffen als seine europäischen Kollegen.
Er ist der „stil-reinere“. Obgleich auch er - abgesehen von ein paar rhythmischen Ideen ("Tribe"!) - klanglich nichts aufbietet, was in den 90ern in Großbritannien nicht schon praktiziert worden wäre.
Zu diesem old school character passt, dass in Kürze sein erstes Album dieser Art, „Signs“, na was wohl?
Remixed wird.
erstellt: 10.05.21
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