Münchner G´schichten (der Jazz-Geschichtsphilosophie)

Dr. Steinfeld hat den Job als Co-Leader des SZ-Feuilletons quittiert, seit Anfang 2014 lebt er als Kulturkorrespondent in Venedig. Er treibt sich wenig herum in Konzertsälen und Theatern, seine Berichte über die Eigenheiten des Landes lesen sich ähnlich erfrischend wie die über Schweden, seinerzeit.
Auch an der Lagune wird Dr. Steinfeld mit Jazz bemustert. Seine Einlassungen dazu sind brillant formuliert, aber ruhen bleischwer doch am Ort der Heimatredaktion, sie lesen sich als Fortsetzungen der Münchner G´schichten der Jazz-Geschichtsphilosophie.
Viele Kapitel darin handeln von Keith Jarrett, die meisten von ECM, jenem Münchner Label, das seine Töne in alle Welt trägt.
Die Münchner G´schichten sind überwiegend gut geschrieben, Dr. Steinfeld führt darin die mit Abstand feinste Feder. Oft enthalten sie einen Lehrsatz, eine Lektion in puncto Jazz-Geschichte oder -Ästhetik, die andernorts mit Erstaunen, inzwischen nur noch mit Heiterkeit quittiert werden.
Dr. Steinfeld´s jüngster Eintrag in die Münchner G´schichten (21.11.2014) verdankt sich wiederum einem Produkt aus der ewigen Ideenschmiede (ECM) und dessen ewigem Künstler (Keith Jarrett), die Veröffentlichung einer Trioaufnahme aus dem Jahre 1972, leider aus Hamburg.
Dr. Steinfeld läuft halbseitig wieder zu großer Form auf, falsch im Detail („Keith Jarrett hatte...eher murrend...bei Miles Davis am elektrischen Klavier gesessen“), aber berauschend in der Konklusion („Man hört dieses Konzert und fragt sich, wie es kam, dass die Musikwelt so anders wurde.“)
Die Lektion diesmal ist zweigeteilt, sie lautet:
1. „Keith Jarrett wurde (Anfang der 70er Jahre, Anm. JC) zum letzten Heroen des Jazz.
2. „Spätestens seit den Achtzigern sind jedoch keine Helden mehr nachgewachsen.“
Stop, stop, stop! Unterdrücken wir die Fontäne an Namen, die uns nun einfallen und der These von Dr. Steinfeld widersprechen, all die Marsalis´, Sofields, Frisells, Breckers (M), von entlegenen wie Bates, Hollenbeck, Hanschel, Delbecq ganz zu schweigen...
Brauchen wir Helden?
Reicht es nicht, wenn wir wissen, wo & bei wem wir den Fortgang der Geschichte nachhören können?

erstellt: 21.11.14
©Michael Rüsenberg, 2014. Alle Rechte vorbehalten