PAT METHENY Orchestrion ****

01. Orchestrion (Metheny), 02. Entry Point, 03. Expansion, 04. Soul Search, 05. Spirit of the Air

Pat Metheny - g, orchestrions, keyb
rec. 10/2009
Nonesuch 7559-79847-3; LC 00286

Was haben wir gelacht, damals, 1984, als Helmut Kohl mit dem Satz zitiert wurde: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Heute scheint der Altkanzler, zumindest in dieser Hinsicht, rehabilitiert. Der Satz ist zu einer vielzitierten Redewendung geworden für ein Verfahren, das zwar keinen schönen Verlauf nimmt, aber schließlich doch das „richtige“ Resultat hervorbringt.
Nie hätten wir auch nur geahnt, Helmut Kohl einmal im Kontext von Pat Metheny benötigen zu müssen, ja: gegen Pat Metheny in Stellung zu bringen. Aber, es hilft einfach nichts: wenn Kohls Satz stimmt, dann ist die jüngste Produktion von Pat Metheny ... naja, nicht gerade „schlecht“, aber eben doch mäßig, gemessen am Niveau seiner Hervorbringungen über mehrere Jahrzehnte.
In zahllosen Interviews, in einem Video, versucht Metheny dieser Tage nichts anderes, als uns den Weg als Ziel zu verkaufen. Natürlich bringt er das so nicht zum Ausdruck, vielmehr spricht er davon - in den liner notes - „mein einziges Ziel ist ein musikalisches“.
Dabei geht für ihn mit „Orchestrion“ ein - wie er selbst sagt - „lebenslanger Traum“ in Erfüllung, der ihn bewegt, seit er als kleiner Junge bei seinem Großvater ein player piano gesehen hat. Das sind mechanische Spielwerke, die - getreu einer auf Walzen oder Lochkarten vorgegebenen Anweisung - Instrumente zupfen, schlagen, streichen, mit größerem Arsenal später Orkestrions genannt. Analoge Vorväter des sampling, wenn man so will, freilich mit große Schwächen in der Dynamik, im timing usw.
Über die Jahre freilich, so schreibt Metheny, habe sich die Mechanik stark entwickelt, insbesondere auch die moderne Magnet-Technologie, so dass die Geräte reif seien, auch die Errungenschaften des Jazz zum Klingen bringen zu können. Und wo sie nicht reif waren, hat der Gitarrist dezidiert entsprechende Aufträge an Instrumenten-Entwickler erteilt.
Ziel ist, die Qualität einer analogen, mechanischen Klangerzeugung von seinem angestammten Instrument, der Gitarre, kontrollieren zu können. Im Grunde also den zeit-intensiven, sequenziellen Prozeß einer Solo-Produktion (Spur für Spur, wie beispielsweise auf seinem ersten Solo-Albums „New Chautauqua“, 1978) in einen parallelen Zeitablauf zu überführen:
pat metheny 5 - Pat Metheny sitzt mit seiner Gitarre an einem Instrumenten-Altar, und um ihn herum zupft, streicht, schlägt es nach seine gusto (bloß wie genau, wieviel Digitaltechnik dann doch auf dem Wege zwischen Gitarren-Saite und zig Vibraphon-Schlegeln zum Einsatz kommt, das verrät er nicht).
Also, „Orchestrion“ ist ein Solo-Album von Pat Metheny in weitgehend mechanischer, analoger Klangerzeugung - und genau so wird er sich denn auch seinem Publikum präsentieren.
Eine Zirkungsnummer, auf Deutsch gesagt. Denn mag Metheny selbst auch überglücklich sein mit dem „was hinten rauskommt“ und von einer nie erreichten Höhe seines künstlerischen Schaffens sprechen - wir müssen ihm dabei nicht folgen.
Und wenn er Interviewer in diesen Tagen zutextet mit Angaben über die Komplexität der Musik, ihre Kontrapunktik etc - alles schon mal da gewesen! Und in besserer Ausführung!
Zugegeben, man mag sich zunächst durchaus blenden lassen durch die Perfektion, mit der sozusagen aus einer Hand eine stattliche Combo ins Klingen gebracht wird; es gibt filigrane Passagen, die würde man einer „Maschinenmusik“ nicht zutrauen. Aber dann entdeckt man zuhauf Passagen, die jede Besetzung der zahlreichen Pat Metheny Groups besser ausgeführt hätte. Abenteuerlich albern der Gedanke, einen solchen Feinmechaniker wie Antonio Sanchez durch Roboter ersetzen zu können (nichts anderes als Roboter sind die digital gesteuerten, mechanischen Hebelwerke, die vor jedem Instrument montiert sind.)
Statt von seiner Armada das bis dato Un-Spielbare zu verlangen, setzt Pat Metheny hier nichts als seine reichlich naiven Allmachtsphantasien um. Der Streß, den er sich dabei vor allem auf seiner kommenden Tournee zumuten wird, ist durch den großen verbalen Aufwand nicht zu rechtfertigen. Entscheidend ist eben doch, was hinten rauskommt. Und diesmal fällt er interpretatorisch gegenüber seinen eigenen Standard zurück.

erstellt: 21.01.10

©Michael Rüsenberg, 2010, Alle Rechte vorbehalten