TIM GARLAND & THE LIGHTHOUSE TRIO Libra (****)-(********)
CD 1 Sun: 01. The Eyes of Ages (Garland), 02.Hang Loose, 03. Arabesque for Three, 04.Frontier: SunGod, 05. MoonGod, 06. On SunGod, 07. Libra, 08. Old Man Winter
CD 2 Moon: 01. Blue in Green (Gil Evans, Miles Davis), 02. Bajo del Sol (Garland), 03. Darkhouse, 04. Sly Eyes (Kenny Wheeler), 05. Black Elk (Garland), 06. Break in the Weather, 07. Nostalgia in Times Square (Mingus)
Tim Garland - s, ts bcl, fl, cond; Gwilym Simcock - p, Asaf Sirkis - perc, Paul Bollenback - g, Royal Philharmonic Orchestra, Malcom Creese - b, Sacconi Strings
rec. 2008
Global Mix GM2CD03
Der Gegensatz von Studio-Produktion und Live-Mitschnitt ist ein bedeutender Topos der Jazz-Ästhetik. Die Aufnahme im Studio wird mit "Kühle", aber auch "Präzision" verbunden; im Prinzip unendliche Korrekturmöglichkeiten erlauben, einen musikalischen Gedanken sozusagen letztgültig zu dokumentieren. Die Bühnen-Performance, und die Ton-Dokumentation davon, stehen für "Lebendigkeit", für "Kommunikation mit dem Publikum"; sie fallen aber der Fehlerhaftigkeit anheim, was freilich durch die besondere Inspiration des Momentes ausgeglichen werden kann.
Es ist allenfalls eine rhetorische Frage, welcher Seite die Jazz-Ästhetik zuneigt, es dürfte ihr am wenigsten umstrittenes Thema sein. Wer Lebendigkeit und Inspiration höher veranschlagt als Perfektion, der hat keinen Entscheidungsspielraum mehr.
Selten hat man die Chance, beide Auffassungen in einer Produktion, fast in einem A/B-Vergleich, studieren zu können. Das wird hier erlaubt, weil wir zweimal dasselbe Ensemble erleben - und zwar wie ausgewechselt.
Für CD 1 ("Sun") produziert es - zu großen Teilen mt dem Royal Philharmonic Orchestra - "viel Wind vor der Hoftür". Großes Handwerk tritt auf der Stelle, die Sache gleitet rhythmisch - vor allem durch Asaf Sirkis - in die bloße Ornamentik eines sattsam bekannten "World Jazz". Die vierteilige Suite "Frontier", dem Third Stream-Pionier Gunther Schuller gewidmet, wirbelt allerlei Strawinsky-Laub auf. Es bleibt das Geheimnis eines Observer-Kritikers, warum er damit Tim Garland promoviert, es gäbe "niemanden, der überzeugender Jazz und Europäische Klassik verbinden kann."
Die segensreiche Wirkung eines 10/4-Taktes aus Nahost, die Asaf Sirkis dem Bandleader nahegebracht habe (im Titelstück hört man ihn am besten als 20/8 in den Streicher staccati), läßt sich nicht nachvollziehen.
Garland´s Phrasen auf dem Tenor muten gegenüber dem, was sie einst bei Bruford bewirkten, "out of context" an. Simcock und Sirkis sind klar unterfordert - wie unterfordert wird schlagartig klar mit CD 2, obwohl sie mit einer Ballade ("Blue in Green") auch noch rubato beginnt.
Asaf Sirkis, der keinen vollen drum set bedient, sondern ein Arsenal aus Percussion und hand drums, zeigt auf einmal "balls". Kein Wunder, wenn man sich die Discographie auf seiner Webseite anschaut: der 1969 in Israel Geborene wäre andernfalls nicht so weit gekommen. Gwilym Simcock gibt hier noch den klugen Begleiter - einen track weiter, in "Bajo del Sol", schlägt dann seine große Stunde. Der erst 27jährige Waliser hängt derzeit alle anderen Talente im Europäischen Jazz ab!
"Bajo del Sol" ist nichts als eine Paraphrase auf Chick Corea´s "La Fiesta"; Tim Garland hat das Stück schon zweimal bei Bruford untergebracht ("Random Acts of Happiness", 2003, "Earthworks Underground Orchestra", 2004) - diese Fassung, live in London, übertrifft alle.
Garland beginnt auf der Baßklarinette, und dann ereignet sich in der Tat einer der Momente, wie er sie im booklet ankündigt: "Es gibt verschiedene Stellen in diesen Aufnahmen, wo der Perkussionist und Pianist sich als Duo engagieren; und man weiß nicht, wer jeweils wen begleitet oder wer wen führt."
Letzter Halbsatz ist übertrieben, denn von 2:37 bis 5:12 in "Bajo del Sol" ist vollkommen klar, wer wen führt; hier demonstriert Gwilym Simcock sein einzigartiges Talent: er tritt aus der Rolle des Begleiters hervor und öffnet, nein reißt den Vorhang auf zu einem neuen Stück! So will es scheinen, gleichwohl verlässt er keineswegs den stilistischen Kontext. Aber selten zuvor dürfte sich ein Pianist dermaßen auf Chick Corea bezogen - und ihn gleichsam rechts und links überholt haben! Ein Hammer-Solo!
Garland greift den eruptiven Ansatz mit dem Sopran-Saxphon auf, Simcock leitet mit dunklen Akkorden die sich langsam aufbäumende Coda ein. Herrschaften, der tonale Jazz ist keineswegs am Ende.
"Darkhouse" besteht aus einem weitgehend improvisierendem Baßklarinetten-Part gegen Streicher Background, an dieser Stelle plaziert weitaus überzeugender als die ambitionierte "Frontier"-Suite.
Dann folgt ein Tango. Man meint, erneut eine Hommage von Tim Garland als Sideman von Chick Corea zu hören, diesmal auf dem Tenor - weitfehlt, es ist "Sly Eyes" von Kenny Wheeler. Das Stück besticht durch ein weiteres Percussion-Piano-Duo. Nämliches in "Break in the Weather", einem weiteren spanisch kolorierten Stück.
CD 2 endet, unmerklich zunächst, mit einer - Studioaufnahme, nämlich "Nostalgia in Times Square". Mingus´ klassischer Blues war zunächst für CD 1 gedacht, "aber alles an seinem Ausdruck", schreibt Tim Garland, "sagte mir, es gehöre in den Kontext einer improvisierten Live-Situation." Recht hat er; der take ist nicht minder energetisch als die Live-Aufnahmen. Asaf Sirkis bedient hier zum ersten mal einen fast vollständigen drum set, - und er swingt, seine snare drum-Technik ist makellos, inbesondere hinter dem wieder virtuos perlenden Gwilym Simcock. Das Stück wird klangfarblich abgeschmeckt durch den herausragenden Paul Bollenback, diesmal auf der akustischen (!) Gitarre.
Der krönende Abschluß einer erstklassigen Produktion - wenn nur CD 1 nicht wäre.
erstellt: 11.03.09
©Michael Rüsenberg, 2009. Alle Rechte vorbehalten