Man erinnert ihn auf der Bühne als das Gegenteil einer Rampensau, eine zurückhaltende Person, oft mit einem freundlichen, vielleicht gar schelmischen Lächeln. Einer, der die Umstände registriert, sich ihnen gerne stellt, aber aus einer großen inneren Ruhe heraus.
Ein Solitär. Kein Wunder, dass ihm das erste Bass-Solo-Album der Jazzgeschichte zugeschrieben wird („Journal Violone“, 1968) sowie das erste im Duo mit einem Instrumental-Kollegen („Music from two Basses“, 1971, mit Dave Holland), später mit Peter Kowald, Barry Guy u.a.
Er hat beide Formate bis zuletzt betrieben: „End to End“, 2018, solo; „To face the Bass“, 2020, mit Teppo Hauta-aho.
Es dürfte schwierig werden, ihn instrumental-stilistisch zu lokalisieren, ihn gar blindfold herauszuhören.
In manchem erinnert er an Charlie Haden, wobei jener gar nicht an Elektronik interessiert war, was sich bei Phillips spätestens mit „Mountainscapes“ (1976) von einem Faible zu einer „zweiten Natur“ ausweitete. Im Team dieses Albums u.a. John Surman und Stu Martin, mit denen er in jenen Jahren in einem dynamischen Trio ein Feuer entfachte, das auch heute noch anzieht (wie konnte es mit Stu Martin auch anders sein).
Nicht zuletzt beeindruckte er arco, mit dem gestrichenen Bass.
Auf seinem mutmaßlich letzten Album „Face à Face“ (2020) bedient er zwar den Baß, hat aber mit György Kurtág erneut einen Elektroniker zur Seite.
Wenn man insbesondere in die vielen kleinformatigen Produktionen zurückblendet, schält sich in er Tat das Bild eines Solitärs heraus; mit einer Musik, die Erwartungen an Form & Struktur vielfach unterläuft, weil sie, durchaus unter Erkaufen von Spannungsabfall, eigensinnige Formen von Klanglichkeit bevorzugt.
Manches, was man heute in der drone-Ästhetik verortet, hat seine Vorläufer schon bei ihm vor fünfzig Jahren.
Damit ist die Vielseitigkeit seiner Einsätze gerade mal angetippt. Er dürfte zu wenigen zählen, die Jazzgeschichte aktiv in einem historischen Längsschnitt mitgestaltet haben.
Der Romanistikstudent kam 1962 aus Kalifonien nach New York. Unterricht nahm er bei einem klassischen Bassisten. Das muss man sich einmal vorstellen: im Folgejahr tritt er mit Eric Dolphy in einem Thirdstream Projekt von Gunther Schuller auf sowie mit Leonard Bernstein und den New Yorker Philharmonikern.
Wenig später wird er Mitglied des legendären Jimmy Giuffre Trios. 1967 übersiedelt er nach Europa und lebt über mehrere Jahrzehnte in Südfrankreich.
Evan Parker beschreibt eine erste Begegnung mit ihm 1967 in London. Die beiden bilden ein Trio mit Paul Bley. Ja, dieser Amerikaner wird ein Mitgestalter bei der Entfesselung der europäische Jazz-Avantgarde; Joachim Kühn, Albert Mangelsdorff, Michel Portal, Gunter Hampel, Barry Guy…die Liste ist endlos.
In den letzten Jahren wurden insbesondere die beiden Schweizer Urs Leimgruber und Jaques Demierre zu seinen Partnern.
Barre Phillips, geboren am 27. Oktober 1934 in San Francisco, verstarb am 28. Dezember in Las Cruces/NM. Er wurde 90 Jahre alt.
Foto: Michael Hoefner (CC BY 3.0), Barre Phillips beim Moers Festival 2008
erstellt: 30.12.24
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