Womit startet ein Nachruf auf diesen MASTER-Drummer?
Er startet mit Chick Coreas „Now He Sings, Now He Sobs” (1968), entweder aus dem eigenen Regal oder auf Spotify. Eines der meist-zitierten Alben in diesem aktuellen Kontext oder auch im Rahmen einer Hommage an den 2021 verstorbenen Pianisten.
Der Nachruf könnte aber auch starten mit Eric Dolphy “Outward Bound” (1960), Oliver Nelson “The Blues and the Abstract Truth” (1961), Stan Getz “Focus” (1962). Oder mit „We Three“ (1958) vom Verstorbenen selbst, mit Phineas Newborn jr. und Paul Chambers.
Man könnte aber auch in aller Stille einfach mal über einen Lebenslauf staunen, oder - warum nicht? - sinnieren. Einen Lebenslauf, der sich so nicht noch einmal darstellen wird.
Der im Längsschnitt große Teile eines ganzes Musikgenres beschreibt.
Wer sonst könnte ein solches Jazz-Leben aufweisen, das bei Lester Young beginnt, 1947-1949? Wer könnte noch ein Foto herauskramen, das ihn 1953 im „Open Door“ in Greenwich Village zeigt, mit Charles Mingus, Thelonious Monk und Charlie Parker?
Wer könnte berichten, wie es war im Quartett von John Coltrane, wenn Elvin Jones verhindert war?
Wer, der Minton´s Playhouse in Harlem vom bandstand her kennt, der mit Young, Parker, Dolphy, Coltrane, Sarah Vaughan (1953-58) auf Bühnen gestanden hat, tat dies auch viele Jahre später noch mit Pat Metheny, 1990?
Das alles klingt nach sideman jobs. Unter den landmark albums der Jazzgeschichte rangiert keines seiner eigenen.
Und doch wäre dies eine unzureichende Beschreibung. Denn in gewisser Weise war er der Leuchtturm unter denen aus der zweiten Reihe, ein Vorgänger von Elvin Jones, Tony Williams und insbesondere Jack DeJohnette. Er hat die hi-hat von der Pflicht, die Zwei und die Vier zu betonen, befreit; mit der rechten Hand ein Vorreiter des broken swing; ein melodischer Drummer, ein „sehr musikalischer Drummer“, wie ihn einer seiner deutschen Verehrer nennt, der seinen Rolle(n) mit spezifischen Eigenarten nachkam.
„Roy Haynes could play with anybody and sound like himself“, staunt Drummer Kollege Billy Hart.
Der Satz stammt wie die folgenden aus der kommenden Autobiografie von Billy Hart, die Ethan Iverson in seinem newsletter „Transitional Technology“ zitiert.
„Als ich schließlich dachte, ich hätte ´meinen eigenen Stil´, fühlte ich mich ziemlich sicher. Aber dann hörte ich Roy Haynes und merkte, dass er bereits alles Mögliche tat, was ich für ´meinen eigenen Stil´ hielt. Ich sah Haynes sogar ein bisschen ähnlich, und in den Zeitschriften sah sein Schlagzeug auch aus wie meines. Irgendwann habe ich verstanden, dass fast alles von irgendwo anders kommt“.
Und: „On top of all that, he can play the slow blues with total commitment. At Dewey Redman’s memorial in St. Peter’s Church, Roy Haynes sat in with Joshua Redman, Pat Metheny, and Charlie Haden and gave us a clinic in just the right texture for a slow blues“.
Seine zahlreichen Auszeichnungen reichten von „best dressed men in America“ 1960 (zusammen mit Fred Astaire, Cary Grant, Clark Gable, Miles Davis) bis zur NEA Jazz Masters Fellowship 1995.
Seine Geburtstage pflegte er im „Blue Note“ in New York City zu feiern, der 95. fiel wegen Corona aus.
Roy Owen Haynes, geboren am 13. März 1925 in Roxbury (Vorort von Boston), starb am 12. November 2024 an der Südküste von Long Island in Nassau County/NY. Er wurde 99 Jahre alt.
Unter seinen musikalischen Nachkommen sind sein Sohn Graham Haynes, cornet, sowie sein Enkel, der Schlagzeuger Marcus Gilmore, 36.
Foto: Marek Lazarski (CC BY-SA 4.0)
erstellt: 13.11.24
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