PAT METHENY Dream Box *******

01. The Waves are not the Ocean (Metheny), 02. From the Mountains, 03. Ole & Gard, 04. Trust your Angels, 05. Never was Love (Russ Long), 06. I fall in Love too easily (Styne, Cahn), 07. P.C. of Belgium (Metheny), 08. Morning of the Carnival (Luis Bonfa, Antonio Maria), 09. Clouds can´t change the Sky (Metheny)

Pat Metheny - g

rec. 2021/22

BMG Modern Recordings 538891672

Dies ist kein spektakuläres Album. Auch unter der historischen Erfahrung, dass die Beurteilung von Kunstwerken sich dramatisch wandeln kann, steht diese Bewertung auf (halbwegs) sicherem Grund.

Einen Grund dafür liefert der Künstler selbst.
 Seine eigene Musik, sagt Pat Metheny, höre er nur „while on the road“.

Damit ist nicht die Binse gemeint, dass er das, was er auf der Bühne vorträgt, wahrnimmt, sondern der Umstand, dass auf Tournee, in „zweckfreien“ Momenten, im Bus oder im Hotel, die Muße sich einstellt, früheren Aufnahmen sich zuzuwenden.

Zum Beispiel die 9 tracks von „Dream Box“. Sie sind in den Jahren 2021/22 entstanden. Sie befanden sich in einem Ordner auf einer seiner Festplatten - er hatte ihn schlicht vergessen. 
Auf der großen Tournee 2022 (160 Termine weltweit) tauchte dieser Ordner wieder auf dem Monitor auf: 9 Stücke, aufgenommen bei verschiedenen Gelegenheiten & Anlässen: ein neues Stück, eine alte oder auch neue Gitarre, ein Standard, oder einfach etwas, das ausprobiert werden will.

„Ich habe einen Ordner, in dem ich diese Dinge aufbewahre, ehrlich gesagt, um sie nie wieder zu hören.“

Was dermaßen in Vergessenheit geraten ist und auch geraten soll, kann schon von daher nicht Zeugnis einer ausgearbeiteten Konzeption sein, wie sie die bedeutenden Metheny-Alben kennzeichnet. 
Es handelt sich - um mal zeitgeistig auf der Höhe zu sein - um Stück Serendipität, um einen glücklichen Zufallsfund:
„Mir fiel auf, dass ich ungewollt an ein Ziel gelangt war, das ich nicht geplant hatte, und ich freue mich, das hiermit zu teilen, was ich gefunden habe.“

Cover Metheny DreamBox Es wäre hilfreich, wenn alle, die dieses Album erwerben, diesen Hintergrund auch mitbekämen - die liner notes erzählen nichts davon.
Diese netten Zeilen erfahren nur Journalisten. 
Sie helfen aber, die Erwartungen an „Dream Box“ (schon allein, was für ein Titel!), zu dämpfen - und diese knappe Stunde als einen angenehmen Beifang zu genießen.

Metheny spielt auf fünf Gitarren (die Typen sind en detail gelistet) Balladen. Überwiegend eigene. Es ist, um mal ein grobes Klischee zu bemühen, late night music.
 Obwohl es sich um „quick recordings“ handelt, sind sie alle im Mehrspurverfahren entstanden, meist ausgehend von Harmonien.

„From the Mountains“ gehört in den Katalog seiner Stücke, die von Jim Hall beeinflusst sind; man mag an einer Stelle auch ein verstecktes Zitat an „My funny Valentine“ erkennen.
„Ole & Gard“ hat alle Chancen, in den Olymp Methenys memorabler Melodien aufzusteigen.

Die erste von drei Fremdkompositionen ist „Never was Love“, ein Stück des 2006 verstorbenen Jazzpianisten Russ Long aus Kansas City. Und man kann sich gut vorstellen, dass Metheny in seinen Teenager-Jahren mit Long gespielt hat, kommt er doch aus Lee´s Summit, also aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Kansas City.

Wer sich hinter „P.C. of Belgium“ verbirgt, muss man erraten (Pierre Courbois kann es nicht ein, der ist Niederländer); jedenfalls ist P.C. ein anmutiges Stück gewidmet.

Es folgt ein Klassiker der Bossa Nova, „Morning of the Carnival“, gemeinsamen geschrieben von Luis Bonfa (1922-2001) und Antonio Maria, aus dem Film „Orfeo Negro“ (1959), in den Jazz eingeführt von Gerry Mulligan 1963.
Das Schlussstück (pfui, Schlußstück schreibt sich besser), eine sehr luftige rubato-Ballade, enthält - wie der Auftakttrack - fast schon eine Denksportaufgabe: „Clouds can´t change the Sky“.
Eine Aufgabe nicht für Katja Horneffer & KollegInnen, sondern für Proseminare der Philosophie.

erstellt: 08.07.23
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