LUCAS NIGGLI/MATTHIAS LOIBNER Still Storm *****

01. Weinende Gletscher (Loibner, Niggli), 02. Singing no Song, 03. Saltwatermelons, 04. Behind the Mist, 05.The Valley beyond, 06. Dark Desire, 07. Shall we?, 08. Jungle Juggle ,  09. Auf Socken (Loibner), 10. Critical Mass (Loibner, Niggli), 11. Still Storm, 12. High Moon, 13. Il tempo sospeso, 14. Bakossi Bird, 15. Ozone Drone, 16. Nebelblüten

Matthias Loibner - hurdy-gurdy, electronics, Lucas Niggli - dr, perc

rec. 04.+05.01.2022
Intakt Records Intakt CD 386/2022

Es steht nicht zu erwarten, dass auch die Drehleier (hurdy-gurdy) den gleichen Lauf nimmt, wie ihn gegenwärtig wohl die Harfe hat.
Zu den Exoten aus der europäischen Instrumentengeschichte gehört dieses seit dem Mittelalter gebräuchliche Streichinstrument aus der Klasse der Lauteninstrumente (Wikipedia) gleichwohl.
Die Zahl der Anwender dürften gegenüber dem anderen Saiteninstrument sicher geringer sein.

Matthias Loibner, geboren 1969 in Graz, heute in Wien lebend, ist nicht der erste, der die Drehleier in den Kontext improvisierter Musiken einführt, aber nachdem man lange nichts mehr von Valentin Clastrier gehört hat (in den 80ern und 90ern u.a. mit Michel Godard oder Michael Riessler) dürfte ihm umso mehr Aufmerksamkeit zufließen.
Loibners Vita weist den Eindruck nicht ab, dass der Mann eine Misssion verfolgt, nämlich die Vielverwendbarkeit eines Instrumentes zu demonstrieren, das die Eigenschaften einer Violine mit denen eines keyboards vereint und in diversen Schwerpunkten verlagern kann - zumal wenn, wie bei Loibner, der Artikulationsraum noch dezent um Elektronik erweitert wird.
cover Niggli LoibnerLoibners Werben haftet nichts Bemühtes an, auf dieser CD mit dem bestens geigneten Klangmaler am Schlagzeug, Lucas Niggli, fällt er nicht mit der Tür ins Haus:
erst track 5, „The Valley Beyond“ lässt in seiner Folkhaftigkeit den Schluss zu, „typisch Drehleier“.
Vorher, track 2, „Singing no Song“, überrascht er den Amateur mit einem piccicato (die Drehleier ist ja ein Saiteninstrument!), noch dazu in einem angedeuteten „Blues“.
Track 4, „Behind the Mist“, ist eines von mehreren Klangstücken („Still Storm“) und enthält einen deutlicheren Drone-Sound als das später so betitelte „Ozone Drone“.
„Shall we?“ ist natürlich eine rhetorische Frage, auf die die Antwort „dance“ in einem 3/8-Takt erfolgt, in einem irischen Jig.
Mehrere Stücke haben eine Pop-Anmutung („Auf Socken“, „High Moon“) oder auch Folk („The Valley Beyond“,„Bakossi Bird“), und im Schlussstück „Nebelblüten“ entfaltet er noch mal das ganze Klangspektrum der Drehleier.
Niggli verbleibt in der Rolle des Begleiters.
Man wünschte sich, die beiden hätten einander mehr gefordert und sich mehr im Dreieck von piccicato, drones und tiefen Tönen verloren.
Sie hängen einem überkommenen Ideal von illustrativer Klanglichkeit an, wie es auch in manchen Titeln zum Ausdruck kommt („Weinende Gletscher“, „Jungle Juggle“).
Die gedankliche Verbindung des CD Titels „Still Storm“ zu „Immer noch Sturm“ von Peter Handke sei zufällig entstanden, schreibt Loibner im booklet:
„In der Musik und in Gesprächen dazu haben wir uns ähnlichen inneren Stürmen ausgesetzt“ - man hätte gerne rein klanglich mehr davon gespürt.

erstellt: 08.08.22
©Michael Rüsenberg, 2022. Alle Rechte vorbehalten