MANASONICS Foley ********
01. On the Lot (Manasonics), 02.Anamorphic, 03. X Copy, 04. Close up, 05. Louma Louma, 06. Duvertyne. 07. Silver Bullet, 08. Cassavetes, 09. B Roll, 10. The Dallies, 11. Invisible Boy, 12. Chantes de Particules, 13. Walk and Talk, 14. Back to One
Steve Argüelles - dr, perc, Nicolas Becker - sound design, perc, Benoit Delbecq - p, bass-station, synth, harp
rec. ?
dStream 101
PLUG AND PRAY Evergreens ********
01. Cortex rewired (Delbecq, Dumoulin), 02. I had a Dream about this Place, 03. Sonate pour un Printemps Meileur, 04.Le Déjà Vu, 05. Singapore Rhapsody, 06. The Pictures that got small, 07. Slow Stepper, 08. Le Moulin du Ruisseau, 09. Saint Denis Appetizer, 10.The Zorro Bus
Benoit Delbecq - p, e-drumming, keyb, tronics
Jozef Dumoulin - ep, keyb, tronics
rec. 2015-16
dStream 102
Deutsche Holzbläser, die sich der Elektronik zuwenden (und es werden immer mehr), deutsche Holzbläser, die sich der Elektronik zuwenden, bleiben deutsche Holzbläser, die in fremden Schuhen einhergehen.
Sie hecheln nach dem schrägen Klang, sie luren nach dem Klangeffekt, nach dem, was sie „soundscapes“ nennen (ohne die Gattung wirklich zu kennen), sie baden in altbackenen Klängen und wissen wenig, was in Electronica angesagt ist.
Sie können von diesen beiden Produktionen aus Paris lernen, was dort - und im weiteren Sinne der Elektro-Akustischen Musik - bevorzugt wird: Reduktion, Konzentration auf einzelne Klänge und nicht Herumfummeln auf „Sägezahn komm´ raus!“.
Manasonics wird gebildet aus dem über Jahrzehnte gewachsenen Team aus Steve Argüelles und Benoit Delbecq, das hier an seine Duo-Projekte als Ambitronix anschließt; sowie ihrem langjährigen Freund Nicolas Becker, 47, einem bekannten Geräuschemacher im Film.
„Foley“ ist die übliche Bezeichnung für diese Tätigkeit; das Album folgt diesem Begriff wie ein Leitmotiv.
Viele Stücke kann man sich als Untermalung von Filmszenen vorstellen, schon den Auftakt „on the Lot“: im rechten Kanal eine Pianofigur a la Erik Satie im langsamen 13/8-Takt, von links kommen schnelle (Frauen)-Schritte heran, die Pianofigur wird um halben Ton nach oben sequenziert, ein dunkles Pianogrollen verlangsamt sich auf null.
Kurze Pause.
Das könnte zu einer Filmszene passen. Bis hierhin sind 57 Sekunden vergangen und elektro-akustisch ist nichts weiter passiert als dass hier und da der Einschwingvorgang der Pianotöne verkürzt wurde, ein kaum merklicher, aber irritierender Effekt: „irgendetwas stimmt hier nicht“.
Bei 0:59 wird die Satie-Figur wiederholt, ein zweites, dunkleres Piano kommt hinzu, ein Glockenschlag, eine männliche Stimme, einzelne Cymbalschläge setzen ein, der Klang säuft ab, von hinten schiebt sich ein Sirren voran, Geräusch wie von Passanten.
Dass das Sirren als drone aufgefasst werden muss, ergibt sich aus der Auflbende zu track 2, „Anamorphic“: eine Schichtung von industrial-Klängen. Manasonics wissen, was in großen Bereichen von Electronica angesagt ist, nämlich drones, Dröhnklänge, Schichten von Geräuschflächen.
Im kurzen track 3 tritt ein technoider Tiefbass dazu; er hält sich auch in track 4, „Close Up“, und ein Rhythmus, gewonnen von Klaviersaiten lässt nun vollends die Assoziation an Heiner Goebbels aufkeimen, die Erinnerung an „Stifter´s Dinge“ (2007).
Ein Hinweis darauf, dass Steve Argüelles einst als Schlagzeuger reüssiert hat, u.a. bei den Loose Tubes in den 80ern, enthält erst track 7. Nach einem Pferdeschnauben schlägt er mit dem Besen (brushes) die snare, dass es seine Freude hat. „Foley“ zeichnet sich aus durch ein extrem transparent aufgenommenes Schlagzeug. Argüelles hat vor etlichen Jahren eine Breakbeat-Produktion für jederman zum Kopieren freigeben, hier finden sich etliche seiner großartigen klingenden patterns, vor allem auf der bassdrum.
In „Cassavetes“ wird die filmische Assoziation bestätigt; Benoit Delbecq spielt Phrasen a la Monk - gleichwohl hat nicht der, sondern Mingus 1959 für den Regisseur John Cassavetes gearbeitet (oder zumindest zu arbeiten versucht).
In der zweiten Hälfte des Stückes erteilt Argüelles deutschen Holzbläsern eine Lektion, die sie unbedingt sich anhören müssten: er transformiert elektro-akustisch nur einzelne Klänge, ja einzelne Beats seiner Performance.
Im nächsten track fährt er fort, jetzt mehr im Sinne von Minimal Techno, ein tiefer Synthie-Bass interveniert, man meint einen alten Filmprojektor laufen zu hören.
Ab hier beginnen die Grooves, und ihren Höhepunkt finden sie in track 12, in den Gesängen der Schwebestoffteilchen, „Chants de Particules“.
Wir werden vom Rauschen einer Maschinenhalle empfangen; Delbecq schlägt ein dunkles, bluesiges Piano-Pattern an, es wird wiederholt mit geringen Abweichungen, fast wie ein Loop; gaanz unten grummelt seehr langsam ein 2taktiger Bass-Groove; die „Akkorde“ kommen aus Maschinenklängen der Halle; und Argüelles spielt seine große Kunst in der Geste großer Kunstlosigkeit - er groovt downtempo ohne Ende!
Das ist so nacht-schwarz, dass man gar nicht umhin kommt, einen Film Noir sich auszumalen.
Das alles ist nur noch bedingt als Jazz auszugeben, es ist Lounge, möglicherweise wird der schillernde Begriff hier überhaupt erst zu einem Genre. Eine Lounge freilich, in der ein jedes Gläserklirren die Subtilität der Länge maskiert, eine Lounge also, in der nicht mehr getrunken, nur noch gehört wird.
Plug and Pray ist eine Verballhornung eines Versprechens der consumer electronics, „plug and play“, „auspacken und sofort loslegen“. Man kann sich nicht darauf verlassen, es läuft meist auf ein „Auspacken & Beten“ hinaus, auf ein Hoffen, dass das Versprechen, das in den Apparaten liegt, irjenswie doch wahr werden möge.
Als Motto der Selbsteinschätzung ist „plug and pray“ ein downgrading ähnlich wie „We know not what we do“, jüngst von Amok Amor, ein Tiefstapeln, das die maximale Entfernung zum tatsächlichen Status der Künstler sucht.
Hier treffen zwei „Einzelanfertigungen“ (Volker Kriegel) aufeinander: der belgische E-Piano-Extremist Jozef Dumoulin und Benoit Delbecq, aber in der Rolle des Ambitronix-Delbecq.
Zwar setzt er auch hier, wie fast immer, das präparierte Piano ein, aber zugleich auch keyboards und e-drumming. Dazu braucht´s heuer keinen drum-computer mehr, das kann man von den keyboards aus erledigen.
Plug and Pray führen selbstverständlich auch nicht in die Welt der „Evergreens“ ein (kein Standard nirgends, nicht mal in der abgefahrensten Bearbeitung), sondern sie tauchen viel mehr noch als Manasonics in die Welt der break beats ein, in die Welt der ultra-tiefen Bässe (track 7, „slow stepper“, ist so was von phat, wie man es von Jazzmusikern noch nicht gehört hat), in die Welt der glitches, in die Fetzen-Elektronik.
Verwandte mag man hören in Wolfgang Mitterer´s „Box Blocks“ oder im britisch-kanadisch-französischen Quartett Splice.
Gelegentlich mag man die Musik noch auch Lounge zuordnen, aber generell ist sie dafür zu aggressiv, die sounds zu industrial, die rhythm patterns derart offbeat, dass sie aus dem metrischen Rahmen herauszufallen drohen.
Ein Paradebeispiel dafür ist „Singapore Rhypsody“, der nichts Asiatisches eignet. Das Stück dauert 9 Minuten, die ersten 4 muten an wie ein remix aus frühen Soft Machine und Pink Floyd, dann setzt ein break-beat-Gewitter ein, das eher Techno-Bands wie Autechre zum Paten hat.
Nicht alles ist so gelungen, manches mutet skizzenhaft an; der „Saint Denis Appetizer“ z.B. trägt seinen Titel zu recht, man wünschte sich diesen Dialog zweier E-Pianos zu einem vollen Drink herangereift.
erstellt: 07.10.17
©Michael Rüsenberg, 2017. Alle Rechte vorbehalten