NILS WOGRAM ROOT 70 Wise Men can be wrong ******

01. You stepped out of a Dream (N.Herb Brown), 02. Isfahan (Strayhorn), 03. Nothing like you (Dorough), 04. Once upon a Summertime (Legrand), 05. Taking a Chance on Love (Vernon Duke), 06. Everything happens to me (Adair, Dennis), 07. I concentrate on you (Cole Porter), 08. Darn that Dream (van Heusen),  09. Too marvelous for Words (Whiting), 10. Chelsea Bridge (Strayhorn), 11. The Song is you (Jerome Kern), 12. Moon River (Mancini)

Nils Wogram - tb, mel (10), Hayden Chisholm - as, Matt Penman - b,
Jochen Rückert - dr

rec. 12/2014
NWog Records 014

Thema dieses Albums sind Standards.
Wer die Tour zum Album besucht hat (die Mitte Januar 2016 zu Ende ging), hat freilich weniger Stücke daraus auf der Bühne erlebt als viel mehr solche vom nächsten Album des Quartetts. Das wird Anfang 2017 erscheinen.
Root 70 hat die „Wise Men...“-Tour genutzt, um sich für das kommende Album warm zu laufen, das im Anschluss in Berlin aufgenommen wurde, (ein Album mit Eigenkompositionen).
Den Abenden hat das nicht geschadet. Im Gegenteil, Root 70 zählt zu den wenigen europäischen Gruppen, deren eigenes kompositorisches Ideenwerk so ausgereift ist, dass es nicht der Vitaminzufuhr aus dem Great American Songbook bedarf.
Zumal sie sich hier der großen Vorlagen bedienen, ohne, wie es heute Mode ist, sie irjenswie „gegen den Strich zu bürsten“.
In den Worten von Nils Wogram: „Es hätte natürlich nahegelegen, dass wir diese Standards so weit verbiegen, bis ´unser Ding´ daraus wird, aber gerade das wollte ich diesmal nicht. Mir ging es vielmehr darum, simple Songs simpel aufzunehmen“.
Waren die vier in den 1970ern Geborenen (Root 70) nicht schon einmal mit ähnlicher Absicht unterwegs?
Yes, folks, 2007 mit dem Album „On 52nd 1/4 Street“. Der Fokus war damals enger gestellt, nämlich auf das Repertoire in der Hauptstrasse des Bebop. Die klangliche Expression war verwandt, aber die Methode war die eines „als ob“: nicht echte Bebop-Tunes wurden gecovert, sondern deren Struktur nachgestellt und thematisch in Mikrotonalität vorgetragen.
Dieses Vokabular war den Helden aus der 52. Strasse bestenfalls aus Büchern der Musiktheorie bekannt, aber dies auch in "Minton´s Playhouse“ umzusetzen, hätte bedeutet, in der Revolution noch eine weitere zu zünden.
cover root70 wiseIn „Wise Men can be wrong“ wird der Fokus nun wesentlich weiter aufgezogen, es ist kein reiner Bebop-Klassiker dabei, wohl etliches aus dem Great American Songbook.
Und das wird in einer Haltung interpretiert, die deutlich von Hommage, Tribut und Anerkennung geprägt ist, von Ironie keine Spur.
Das muss auch nicht sein. Die Interpretation ist schon deshalb nicht nostalgisch, weil sie Elemente aufweist, die zu den damaligen Publikationszeiten ungebräuchlich waren, namentlich multiphonics (von Nils Wogram) und, auch von diesem, der Einsatz der Melodica in „Chelsea Bridge“ - was auf dem Cover nicht vermerkt ist.
Das hier ist schön, angenehm, unterhaltsam im Stile des Neo Cool. Und andere Ensembles dürften sich damit hochzufrieden zurücklehnen.
Aber wer den formalen Wagemut von Root 70 schätzt, insbesondere den von Nils Wogram und Hayden Chisholm, den sättigt „Wise Men can be wrong“ ebenso wenig wie seinerzeit „On 52nd 1/4 Street“.
Root 70 ruht sich aus, das sei ihnen gegönnt. Wer die Tour 2016 besucht hat, weiss: das nächste „Fahrvergnügen“ lässt nicht lange auf sich warten.
(Vorher kommt noch ein Duo-Album von Wogram mit Bojan Z.)

 

erstellt: 05.02.16
©Michael Rüsenberg, 2016. Alle Rechte vorbehalten