Miles unter Pastoren

Wer in der ZEIT über Jazz schreiben will, muss kämpfen. Die Redaktionshierarchen mögen Jazz nicht.
Streben vielleicht deshalb die wenigen Artikel, die durchdringen, so zuverlässig am Kern der Sache vorbei, weil sie diese Musik immer wieder mit externer Aufmerksamkeit meinen legitimieren zu müssen?
Am 10.3. rezensiert Konrad Heidkamp das Isle-of-Wight-Video von
Miles Davis ("K.O.-Schlag in der letzten Note"). Schon mit der ersten Zeile ("Wann der Sündenfall im Jazz stattfand, ist umstritten.") ein Haken ins Nichts, eine Luftnummer.
"38 Minuten dauerte der historische Moment, der zur endgültigen Vertreibung aus dem Paradies führte." Die Zahl stimmt nicht, wird aber in schönstem norddeutschen Pastorenton vorgetragen, ohne Begründung.
Vielleicht meint der Autor
Stanley Crouch. Dessen Miles-Davis-Verdikt nennt er zutreffend "grössten Unsinn". Macht sich ihn aber mit dem nächsten Doppelsatz zu eigen: "Dass dies kein Jazz sei, damit mag Stanley Crouch Recht haben. Es ist Miles Davis."
Bloss weil der auf die Frage, wie sein Stück zu betiteln sei, geraunzt hat: "call it anything" (?)

©Michael Rüsenberg, 2005. Alle Rechte vorbehalten